Der perfekte Alptraum:
OPERAZIONE PAURA

Die Geschichte führt in nicht näher definierte mitteleuropäische Gefilde gegen Ende des 19. Jahrhunderts: Gerichtsmediziner Dr. Paul Eswai wird von Inspektor Kroger in ein kleines Dorf bestellt, um an einer Toten - offensichtlich ein Selbstmordopfer - eine Autopsie durchzuführen. Die seltsam verängstigten Dorfbewohner sind von diesem Vorhaben alles andere als begeistert; es scheint nicht nur purer Aberglaube, sondern auch die Furcht vor einer ganz konkreten Bedrohung wie ein Schatten über dem Ort zu hängen.
Kurz nach Dr. Eswai trifft auch die junge Medizinstudentin Monica ein. Sie ist in dem Dorf geboren worden, verließ es aber noch als kleines Kind und kehrt nun das erste Mal seit vielen Jahren dorthin zurück. Von Monica assistiert führt Eswai die Obduktion durch und entdeckt zu seinem Erschrecken im Herzen der Toten eine Goldmünze. Monica erzählt ihm, daß es sich hier um einen alten lokalen Brauch handelt: Nur mit Geld im Herzen, so geht die Rede, könne jemand, der eines gewaltsamen Todes gestorben sei in Frieden ruhen. Nach der Autopsie wird Eswai auf der nächtlichen Straße von einigen erbosten Dörflern angegriffen, die Rache für seinen "Frevel" nehmen wollen. Nur das Eingreifen einer geheimnisvollen jungen Frau in Schwarz - der "Dorfhexe" Ruth - kann ihn im letzten Moment vor den Handgreiflichkeiten der aufgebrachten Meute bewahren.
Als er in seinem Gasthof eintrifft, findet er eine Nachricht von Inspektor Kroger vor, der ihn in der Villa Graps treffen will. Er bittet Nadine, die Tochter der Wirtsleute, ihm den Weg zu besagter Villa zu beschreiben. Diese reagiert auffällig verängstigt auf die Erwähnung des Namens Graps: Sie warnt ihn eindringlich davor, dorthin zu gehen, verfällt schließlich völlig aufgelöst in Panik und fleht Eswai an, niemandem zu verraten, daß sie ihm etwas erzählt hat. Irritiert macht sich der Doktor auf den Weg und schon kurz darauf wird Nadine mit der geisterhaften Erscheinung eines kleinen Mädchens konfrontiert, das durchs Fenster zu ihr hineinstarrt. In Tränen aufgelöst berichtet sie ihren Eltern von dem Spuk, die daraufhin Ruth zu Hilfe holen, die mittels weißer Magie die bösen Geister bannen soll. Ruth spricht einige Gebete und ordnet an, daß Nadine eine Dornenranke um ihren Leib schlingen soll, die sie vort dem Zugriff des Bösen beschützen wird.

Die Villa Graps entpuppt sich als ein höchst mysteriöser Ort mit einer gespenstischen, angsteinflößenden Aura. Vor vielen Jahren wurde Melissa, die kleine Tocher der Baronesse Graps, bei einem Dorffest von betrunkenen Dörflern mit einer Kutsche überrollt und starb. Die Baronesse verfluchte alle Dorfbewohner und ihre Nachkommen, und seitdem terrorisiert Melissas Geist das Dorf: Jeder, der das Kind erblickt, wird eines gewaltsamen Todes sterben...
Die Baronesse - im Lauf der Jahre zu einer alten alten, halbverrückten Frau geworden, die von der Außenwelt abgeriegelt in ihrer menschenleeren Villa zwischen verstaubter Pracht und alten Erinnerungen lebt - weigert sich, Eswai zu empfangen und bestreitet, etwas von Inspektor Krogers Verbleib zu wissen. Nachdem der Doktor recht rigoros von der Baronesse abserviert wurde, begegnet ihm in den Gängen der Villa ein kleines Mädchen, das mit seinem Ball spielt - Melissa. Als Eswai, der als gestandener Naturwissenschaftler natürlich nichts von all dem Aberglauben hält, sie anspricht, verschwindet sie.

Derweil wird Monica von Alpträumen geplagt, in denen ihr eine seltsame Puppe erscheint. Als sie erwacht, findet sie genau jene Puppe in ihrem im Bett vor. Verängstigt flieht sie aus dem Haus und begegnet Eswai, den sie zu seinem Gasthof begleitet. Dort angelangt hört er Nadine in ihrem Zimmer schluchzen. Er sieht nach ihr und entfernt unter den Protesten der Mutter die Dornenranke von ihrem Leib. Erwartungsgemäß tut seine Fürsorge dem Mädchen wenig gutes: Später in der Nacht erscheint abermals Melissa und zwingt Nadine dazu, auf höchst bizarre Art - nämlich mit einem Kerzenleuchter - Selbstmord zu verüben.
Später wird auf dem Friedhof Inspektor Krogers Leiche entdeckt, der offensichtlich an einem selbst zugefügten Kopfschuß starb. Bürgermeister Karl erklärt sich daraufhin bereit, Eswai stärker bei seinen Ermittlungen zu unterstützen. Er offenbart Monica, daß sie in Wirklichkeit eine Graps - nämlich Melissas Schwester - ist und verrät, daß er im Besitz ihrer Geburtsurkunde ist. Doch als er das Dokument holen will, wird auch er ein Opfer des Spuks.
In der Folge verschwindet Monica von der Bildfläche und Eswai vermutet richtig, als er sie in der Villa Graps zu finden glaubt: Sie schwebt dort in tödlicher Gefahr, denn die Baronesse will - wenngleich sie sich als besorgte Mutter präsentiert - Melissas Geist auch auf sie hetzen. Nur das Eingreifen Ruths, die dem Terror ein Ende und ihren Geliebten Karl rächen will, kann Monica und Eswai retten. Zwar überlebt Ruth diese Konfrontation nicht, doch mit letzter Kraft kann sie die Baronesse töten und somit zugleich auch Melissa erlösen. Eswai und Monica verlassen die Villa und kehren zurück in die Realität.

Der in nur 12 Tagen gedrehte Operazione Paura (Der haarsträubende deutsche Titel Die toten Augen des Dr. Dracula führt einmal wieder in die Irre und war nur darauf angelegt, die damalige Popularität der Hammer-Produktionen auszunutzen) kann ohne Übertreibung als einer der schönsten und atmosphärischsten Vertreter subtiler Horrorfilmkunst bezeichnet werden: Beispielhaft führt Bava hier sein visuelles Talent vor Augen - die wenigen Tagesszenen präsentieren eine unwirklich trostlose Landschaft in ausgeblichen wirkenden Farben; abgestorbene kahle Bäume und halbverfallene Häuser dominieren die Szenerie. Anders als z. B. das unwirkliche Ödland, das Roderick Ushers Haus in Roger Cormans kunstvoller Poe-Adaption The Fall of the House of Usher umgibt, wirkt diese Gegend hier jedoch keineswegs anheimelnd gruselig sondern abweisend, feindselig und beklemmend.
In den Nachtszenen entfaltet Bava jedoch all sein Farbempfinden: Ein geisterhaftes blaues Licht beherrscht die Szenerie, kunstvoll gesetzte Farbakzente erschaffen eine altraumhafte Kunstwelt, in der schleichende Kamerafahrten, ausgeklügelte Perspektiven (so z. B. die raffinierte Drehbewegung der Kamera, wenn den Protagonisten auf der Wendeltreppe gefolgt wird) und Carlo Rustichellis musikalische Untermalung für ein subtiles Grauen sorgen, das tiefer geht, als jede plakative Monstershow. In Operazione Paura frönt Bava wieder einmal seinen beiden großen Vorlieben: Einerseits ist es die Inszenierung unwirklich nebelwallender Spukstimmungen, in denen sich die Grenzen zwischen Träumen und Wachen auflösen - das ganze Dorf scheint nur von Somnambulen bevölkert, die wie auf Abruf nur auf ihren in der Gestalt der kleinen Melissa erscheinenden Todesengel zu warten scheinen. Zum anderen ist es das Erwecken des schleichenden Grauens, das auch den harmlosesten Dingen eigen wird, reißt man sie aus ihrem vertrauten Zusammenhang gerissen werden und läßt ihnen eine ausreichende (filmische) Überbetonung zuteil werden. Das Mädchen Melissa mit seinem Ball ist dafür ein ebenso gelungenes Beispiel wie der tropfende Wasserhahn in I tre volti della paura: Das Hüpfen des Balls und das Lachen des Kindes bekommen in den verschachtelten Korridoren der Villa Graps - in denen Dr. Eswai schließlich sich selbst gegenüber steht - eine gänzlich fremde, unheilverkündende Dimension.
Das Böse erscheint hier in Form eines kleinen Mädchens, der gespenstischen, nie greifbaren Melissa (übrigens wurde Melissa von einem kleinen Jungen gespielt, der mittels Makeup und Perücke entsprecehend zurechtgemacht wurde). Das Lachen des Kindes, das Geräusch des hüpfenden Balls wird den normalen Empfindungen enthoben und bekommt im Kontext von Bavas Inszenierung eine neue, beängstigende Bedeutung. Ebenso verhält es sich auch mit dem Spielzeug, das Monicas Alptraum bevölkert - die Puppe ist hier nicht mehr der nostalgisch verklärte Spielkamerad der Kindheit, sondern ein Sendbote des Unterbewußtseins, ein erstes Vorzeichen für Monicas Rückkehr zu ihren Ursprüngen, sprich in die Villa Graps.
Überhaupt ist die (unfreiwillige) Reise ins eigene Selbst , die Konfontation mit einer tief unter der Oberfläche verborgenen Wahrheit ab der zweiten Häfte des Films ein zentrales Thema: Monica muß zurück in die Villa, den sprichwörtlichen "Schoß der Familie", findet dort jedoch alles andere als familiäre Behaglichkeit und Mutterliebe. Die Baronesse Graps andererseits lebt nur für die Vergangenheit; ihre Villa, in der sie sich von der Außenwelt und dem leben an sich abriegelt, ist für sie längst zu einer Gruft geworden. Die ängstlichen und abergläubischen Dorfbewohner wiederum werden durch den Fluch der Baronesse - verkörpert durch Melissas Geist - zwangsläufig ständig mit ihren "Ursprüngen" (= der Schuld am Tod Melissas) konfrontiert. Auch Dr. Eswai, der Fremde, Verkörperer der weltlichen und rationellen Seite, muß sich der Begegnung mit sich selbst unterziehen: Als er Monica retten will, wird er in der Villa mit einem vor ihm flüchtenden Mann konfrontiert. Er verfolgt den Fremden und scheint dabei immer wieder den gleichen Raum zu durchqueren - als er ihn schließlich stellt, blickt er zu seinem Entzsetzen in sein eigenes Gesicht (David Lynch baute 1991 in der letzten Episode der amerikanischen Kultserie Twin Peaks eine nahezu identische Szene ein: Als Agent Cooper in der mysteriösen Black Lodge landet, schaut auch er seinem unbekannten Ich ins Antlitz). Schließlich findet Eswai sich vor der Villa sogar in einem riesigen Spinnennetz wieder; ein Trugbild zwar, doch ein überdeutliches Symbol für die Hilflosigkeit der wissenschaftlichen Ratio gegenüber den überirdischen Kräften die hier zugange sind.
Die Zerstörung und der Niedergang einer Familie (seit La maschera del demonio eines von Bavas Lieblingsthemen) läßt sich am Beispiel der Graps-Sippe auch hier wieder nachvollziehen, gerät aber vor dem zuvor genannten Schwerpunkt in den Hintergrund.

Mag Operazione Paura auch ein weiteres Paradebeispiel für das, für den italienischen Horrorfilm typische Prinzip "Form vor Inhalt" sein, so überzeugt jedoch auch die Besetzung des Films: Giacomo Rossi-Stuart (der für das italienische Genre-Kino jener Zeit in etwa das war, was Joachim Fuchsberger für die deutsche Edgar Wallace-Ära darstellte) verkörpert routiniert Dr. Paul Eswai, der - als rationell denkender Außenseiter - zu einer Identifikationsfigur für den Zuschauer wird und auf dessen Spuren man in das sich entfaltende Enigma eintaucht. Dominiert wird jedoch auch dieser Film einmal wieder von den weiblichen Protagonisten: Die wunderbare Giana Vivaldi als die, zwischen Rachsucht, Melancholie und Furcht hin- und hergerissene alte Baronesse ist der Auslöser des ganzen Spuks. Fabienne Dali als geheimnisvoller "Hexe" Ruth gelingt es im Finale - wenngleich unter Opferung ihres eigenen Lebens - das Böse zu besiegen. Erika Blanc in der Rolle Monicas schließlich, ist die eigentliche Heldin des Films und nicht zuletzt auch Anlaß für den Titel. Blanc (die eigentlich Enrica Maria Colombatto heißt und ihre Karriere als Model für italienische Fotoromane begann) hatte in Italien und Frankreich bereits durch die 1965 entstandenen James Bond-Persiflagen Agente 077, Missione Bloody Mary und Agente 003, Operación Atlántida Popularität erlangt. Der Titel Operazione Paura war zugleich eine ironische Anspielung auf diese Filme und ein deutlicher Hnweis auf die Präsenz Erika Blancs. Erika Blanc hat die Dreharbeiten zu Operazione Paura übrigens in angenehmer Erinnerung: "Mario war ein großer Regisseur. Mir hat sehr gefallen, wie er mit den Schauspielern zusammenarbeitete, sehr einfach, sehr locker. Er wirkte bei seiner Arbeit immer wie ein Kind beim Spielen, mit derselben unschuldigen Freude. Das ist in unserem Geschäft sehr selten ... Solche Künstler lieben ihre Arbeit, sie stecken in einem Spiel, das sie ganz verkonsumiert. Das ist es, was sie von anderen unterscheidet. Das macht sie zu Genies." (aus einem Interview in Splatting Image Nr. 35, September 1998)

Die brillante Idee, das Böse in Gestalt eines ballspielenden Kindes darzustellen, variierte Federico Fellini 1969 in der italienisch-französischen Poe-Trilogie Histoires extraordinaires / Tre passi nel delirio: In der von ihm inszenierten Episode Toby Dammit wird der Protagonist - ein versoffener Schauspieler, dargestellt von Terence Stamp - von Visionen von einem kleinen, ballspielenden Mädchen verfolgt, das sich als niemand anders als der Teufel entpuppt. Hartnäckige Gerüchte, daß Mario Bava selbst an diesem Film beteiligt gewesen sein soll, wurden übrigens später von seinem Sohn Lamberto dementiert. Liliana Betti erwähnt jedoch in ihrer Fellini-Biographie, daß Fellini das Projekt anfangs ablehnen wollte und darauf verwies, daß der talentierteste Regisseur für eine solche Arbeit Mario Bava sei .

© Thomas Wagner
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Daten zum Film:

OPERAZIONE PAURA
(weitere Titel: DIE TOTEN AUGEN DES DR. DRACULA, KILL, BABY...KILL!, CURSE OF THE DEAD)
Italien 1966, Farbe
Regie: Mario Bava
Story: Roberto Natale, Romano Migliorini
Buch: Mario Bava, Roberto Natale, Romano Migliorini
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Antonio Rinaldi
Musik: Carlo Rustichelli und Roman Vlad
Schnitt: Romana Fortini
Darsteller: Giacomo Rossi-Stuart (Dr. Paul Eswai), Erika Blanc (Monica), Giana Vivaldi (Baronesse Graps), Fabienne Dali (Ruth), Max Lawrence (Bürgermeister Karl), Piero Lulli (Inspektor Kroger), Giuseppe Addobbati (Wirt)


Externe Links:

B-Movies: Sehr schönes Bildmaterial + Inhaltsangabe
Sense of View: Review (deutsch)
The Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth
Splatting Image: Interview mit Erika Blanc

Trailer:
YouTube


Veröffentlichungen:

DVD:
- KILL, BABY...KILL!, VCI Home Video (USA)
- DIE TOTEN AUGEN DES DR. DRACULA, Anolis Entertainment (Deutschland)
- CURSE OF THE LIVING DEAD, KSM/Laser Paradise (Deutschland)
- OPÉRATION PEUR, Neo Publishing (Frankreich)
- OPÉRATION PEUR, Films sans frontières (Frankreich)

VHS:
- KILL, BABY...KILL!, VCI Home Video (USA)
- DIE TOTEN AUGEN DES DR. DRACULA, Anolis Entertainment (Deutschland)
- DIE TOTEN AUGEN DES DR. DRACULA, Award (Deutschland), nicht mehr erhältlich