Von Schuld und Sühne:
I COLTELLI DEL VENDICATORE

Der Wikingerkönig Harald ist auf hoher See verschollen und wird von der Mehrzahl seiner Untertanen für tot gehalten; nur seine junge Frau Karin glaubt aufgrund einer Weissagung noch an seine Wiederkehr in die Heimat. Der einst wegen seiner Missetaten verbannte Krieger Hagen nutzt die Situation aus und fällt mit seinen Männern in das Land ein, um die Herrschaft an sich zu reißen und die scheinbar verwitwete Königin zur Frau zu nehmen. Karin versteckt sich mit ihrem Sohn Moki in einer kleinen Waldhütte, doch es dauert nicht lang und sie wird von Hagens Bande entdeckt. Nur das Eingreifen eines mysteriösen Fremden, der virtuos die Kunst des Messerwerfens beherrscht, rettet die Beiden. Aus Dankbarkeit erlaubt Karin dem Fremden, der sich als Helmut vorstellt, zu bleiben und recht bald entwickeln sich stärkere Gefühle zwischen den Dreien: Für Moki wird Helmut zu einer Art Ersatzvater und auch Karin beginnt mehr als bloße Sympathie für ihn zu empfinden, doch zugleich glaubt sie noch immer fest an die Rückkehr ihres Mannes. Als Karin Helmut schließlich ihre wahre Identität offenbart, erfahren wir in einer Rückblende die Vorgeschichte: Der alte König wollte einst ein Bündnis mit Rurik, dem Herrscher des benachbarten Reiches schließen, doch Hagen machte diesen Plan zunichte, indem er Ruriks Frau und Kind ermordete. Der König verbannte den Mörder daraufhin aus seinem Reich, doch noch in der gleichen Nacht fiel Rurik mit seinen Truppen in das Land ein und übte grausame Vergeltung: Zahlreiche Menschen, so auch der alte König, wurden erbarmungslos niedergemetzelt und Karin wurde von dem im Racherausch wütenden Rurik vergewaltigt. Nach dem Überfall nahm Harald den Thron ein und schwor Rurik blutige Rache. Es stellt sich heraus, daß Helmut niemand anders ist als König Rurik - nach dem Gemetzel jener Nacht verzichtete er auf seinen Thron auf und führt seitdem ein Dasein als einsamer Wanderer. Zwar muß er - da er bei dem Überfall maskiert war - nicht fürchten, von Karin erkannt zu werden, doch fortan wird er von Schuldgefühlen gequält und beginnt sich zu fragen, ob nicht er Mokis wirklicher Vater ist. Rurik weiß, daß er seine Vergangenheit niemals endgültig hinter sich lassen kann und beschließt Hagen, den Hauptschuldigen an allem Übel, zu töten.
Schließlich kehrt König Harald mit seinen Getreuen tatsächlich wieder in das Land zurück. Als er Rurik gegenübersteht, fordert er ihn zu einem Zweikampf auf Leben und Tod hinaus, doch Rurik weigert sich zu kämpfen...

I coltelli del vendicatore (zu deutsch: Die Messer des Rächers) war Mario Bavas zweiter - sein dritter, zählt man seine inoffizielle Regiearbeit bei Giacomo Gentilomos L'ultimo dei Vikinghi mit - Exkurs in mittelalterliche Wikingergefilde. Hauptdarsteller Cameron Mitchell erinnerte sich 1994 in einem Interview (in Video Watchdog No. 25), daß der Film ursprünglich von einem anderen Regisseur gedreht werden sollte (der Filmhistoriker Tim Lucas vermutet hier den Westernspezialisten Primo Zeglio). Einige Szenen wurden auch schon fertiggestellt, als den Produzenten das Geld ausging und die Dreharbeiten vorerst abgebrochen werden mußten. Als die finanziellen Probleme gelöst waren, wurde das Projekt Bava übertragen, der aller Wahrscheinlichkeit nach das bereits existente Material verwarf und den Film von Anfang an komplett neu drehte.

I coltelli... wurde ursprünglich als Remake von George Stevens' 1951 entstandenem Western Shane geplant. Sieht man einmal von der mittelalterlichen Kulisse ab, versprüht der Film tatsächlich ein gewisses "Wildwest-Flair": Marcello Giombinis mitreißende Musik, die einfallsreichen Bildarrangements und der einzelgängerische Antiheld Rurik lassen durchaus an Sergio Leones epische Italowestern denken.
Doch nicht nur das macht I coltelli... zu einer ungewöhnlichen Ausnahmeerscheinung unter den Historienabenteuern. Obwohl hier in erster Linie eine actiongeladene Abenteuergeschichte erzählt wird, geraten die Kämpfe vor dem menschlichen Aspekt der Story in den Hintergrund und werden zu einem zwar gut choreographierten, doch letztendlich nebensächlichem Beiwerk. In oftmals einfallsreich arrangierten Bildern läßt Bava in diese Melange aus Wikingerspektakel und Italowestern die Stimmung einer elegischen Tragödie einfließen; es sind die absolut lebendigen, naturalistisch gezeichneten Charaktere, die die Handlung dominieren. Cameron Mitchells Darstellung des in sich zerrissenen Rurik ist überzeugend und zugleich anrührend: Von Schuldgefühlen geplagt, versucht er seine unverzeihlichen Verbrechen an Karin und ihrer Familie wiedergutzumachen. Doch er weiß genau, daß er die Qualen der Erinnerung und den Abscheu vor sich selbst dadurch niemals loswerden kann und daß in Karins Welt kein Platz für ihn ist. Im Finale des Films - er hat Moki aus der Gewalt Hagens gerettet und den Schurken getötet - überläßt er die wiedervereinte Familie ihrem Glück und reitet in bester Westerntradition in den Sonnenaufgang. Ob er jedoch jemals seinen Frieden finden wird, bleibt ungewiß.

© Thomas Wagner
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Daten zum Film:

I COLTELLI DEL VENDICATORE
(weitere Titel: RURIK, EINE HANDVOLL BLANKER MESSER, KNIVES OF THE AVENGER, VIKING MASSACRE)
Italien 1966, Farbe
Regie: Mario Bava (als John Hold)
Buch: Mario Bava, Alberto Liberati, Giorgio Simonelli
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Antonio Rinaldi
Musik: Marcello Giombini
Schnitt: Otello Colangelli
Darsteller: Cameron Mitchell (Rurik/Helmut), Elisa Pichelli (Karin), Fausto Tozzi (Hagen), Giacomo Rossi-Stuart (König Harald), Luciano Polletini (Moki)


Externe Links:

The Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth


Veröffentlichungen:

DVD:
- KNIVES OF THE AVENGER, Image Entertainment (USA)
- EINE HANDVOLL BLANKER MESSER, e-m-s (Deutschland)

VHS:
- RURIK, Tyrus Video (Deutschland), nicht mehr erhältlich - diese Fassung ist gekürzt!