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![]() Ein Hundeleben:
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Die Weiterfahrt artet recht bald in eine nervenzerfetzende Tortur
aus. Der ständig mit seinem Messer hantierende Bisturi (= Skalpell)
ist ein kaltblütiger Killer. Noch schlimmer ist Trentadue (= zweiunddreißig),
der - wie er betont - seinen Spitznamen von den Dimensionen in seiner
Unterhose ableitet; ein brutaler und unberechenbarer Riese jenseits
aller sozialen oder ethischen Befindlichkeiten. Einzig Dottore, der
intellektuelle Kopf der Bande, erscheint noch als vernunftgeleiteter
Faktor, doch auch er läßt keinen Zweifel daran, daß
er jederzeit bereit ist, über Leichen zu gehen. Die Situation in
dem vollbesetzten Wagen wird in der brütenden Hitze des Tages immer
unerträglicher. Ein Fluchtversuch Marias scheitert kläglich
und nachdem Trentadue einen Stop bei einer Autobahnraststätte nutzt,
um sich eine Flasche Whiskey zu kaufen, eskaliert die Situation. Im
Vollrausch versucht er Maria auf dem Rücksitz des Wagens während
der Fahrt zu vergewaltigen. Trotz der Aufforderung Dottores, der zu
Recht fürchtet, daß andere Reisende auf die Vorgänge
in dem Wagen aufmerksam werden könnten, läßt Trentadue
nicht von seinem Vorhaben ab. Da sich kein anderer Ausweg mehr bietet,
schießt Dottore schließlich auf ihn und verwundet ihn schwer.
Bewegungsunfähig befindet sich Trentadue fortan in einem jämmerlichen
Zustand schweigender Agonie und sein Tod ist nur noch eine Frage der
Zeit.
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Als bald darauf der Wagen dringend aufgetankt werden muß, kommt es zu
einem neuen Problem: Bei einer Tankstelle taucht eine junge Frau auf, die sich
ebenfalls als Maria vorstellt und Dottore bedrängt, sie mitzunehmen. Sie
öffnet die Fondtür von Riccardos Auto, worauf Trentadues blutbefleckte
Hand sichtbar wird, was die ununterbrochen plappernde Maria 2 allerdings nicht
bemerkt. Doch der gerade aus seiner Mittagspause gerissene Tankwart registriert
dies sehr wohl. Um eine Szene zu vermeiden und nicht noch mehr kostbare Zeit zu
verlieren, gibt Dottore nach und gemeinsam mit der neuen Mitfahrerin wird die
"Reise" fortgesetzt. Der Tankwart, der sich jetzt wohl einiges zusammenreimen
mag, blickt ihnen skeptisch nach, zögert einen Moment - und legt sich dann
mit einem Achselzucken wieder zum Mittagsschlaf nieder. Allein diese kurze Szene
sagt wohl alles über Bavas nicht gerade euphorische Weltsicht aus.
Die neue Mitreisende entpuppt sich als ebenso naiv wie extrovertiert. Sie erkennt
nicht im mindesten den Ernst der Lage, stattdessen plaudert sie pausenlos, macht
Witze über den "schlafenden" Trentadue und schlägt schließlich
sogar vor, gemeinsam ein Lied zu singen. Erst als sie in ihrem Übermut Trentadue
die Decke vom Körper zieht und die blutende Wunde entdeckt, schwant ihr,
worauf sie sich eingelassen hat. Doch schon im nächsten Moment rammt ihr
Bisturi sein Messer in die Kehle.
Kurz darauf befiehlt Dottore anzuhalten um die toten bzw. halbtoten Mitreisenden
loszuwerden. Marias Leiche wird kurzerhand von einem Abhang geworfen; der sterbende
Trentadue wird im Anschluß in eine Ebene geschleppt, wo Bisturi ihm den
"Gnadenschuß" verpassen muß.
Schließlich gelangt die Gruppe bei einer alten, halbverfallenen Villa an,
dem eigentlichen Ziel Dottores. Dort warten ein Fluchtwagen und gefälschte
Papiere für die Flucht außer Landes auf die Gangster.
Es wird nun völlig klar, daß Dottore und Bisturi - allein schon um
sich aller Zeugen zu entledigen - vorhaben, ihre Geiseln zu töten. Dottore
befiehlt Riccardo, das bewußtlose Kind aus dem Auto zu holen, worauf dieser
zur allgemeinen Überraschung plötzlich eine Pistole aus der Decke des
Jungen hervorzieht. Er erschießt zuerst den völlig überrumpelten
Dottore und dann Bisturi, der jedoch noch in der Lage ist Maria zu töten.
Im Anschluß verfrachtet Riccardo das Kind und die gestohlenen Lohngelder
in den bereitgestellten Fluchtwagen und macht sich an die Weiterfahrt.
Wenig später stoppt Riccardo bei einer Tankstelle und tätigt einen Telefonanruf:
Einer in Tränen aufgelösten Frau am anderen Ende teilt er mit, daß
es ihrem Sohn gut gehe - aber daß es sie 3 Milliarden Lire kosten wird,
ihn jemals lebendig wiederzusehen...
Cani arrabbiati war - ebenso wie der ein Jahr zuvor entstandene Lisa
e il diavolo - ein besonders ambitioniertes Projekt Bavas, das ihm sehr am
Herzen lag. Um so niederschmetternder war es für den Regisseur, als der Film
das Schicksal seines Vorgängers teilte und ebenfalls nie zu einer breiten
Aufführung gelangte: Kaum eine Woche nach der Fertigstellung von Cani
arrabbiati wurden die Besitztümer des hochverschuldeten Produzenten -
darunter auch dieser Film - von dessen Gläubigern konfisziert. Für mehr
als zwei Jahrzehnte blieb der Film unter Verschluß, auch die späteren
Versuche Lamberto Bavas, die Rechte am Film seines Vaters zurückzukaufen
scheiterten. Erst 1996 wurde von dem dem deutschen Label Lucertola eine - unter
der Mitwirkung der Coproduzentin und Hauptdarstellerin Lea Leander (die als Lea
Krugher bereits in Sei donne per l'assassino mit Bava zusammengearbeitet
hatte) - liebevoll rekonstruierte Fassung des Films als DVD veröffentlicht.
Für alle Bavaphilen war dies eine große Überraschung, denn was
sich hier bot, hatte weder mit den märchenhaft-surrealen Alptraumwelten,
noch mit den stilisierten eleganten Gialli Bavas noch viel zu tun.
Cani arrabbiati ist ein knochentrockener, zynischer und desillusionierter
Thriller. Ein zugleich ernüchternder wie auch beängstigender Realismus
dominiert den Film - "die Welt ist schlecht" lautet die simple und im
Kontext des Films unschwer nachvollziehbare Botschaft. Es gibt nur Täter
und Opfer und die "räuberischen Hunde" (eben die cani arrabbiati),
die sich auch in vielen "anständigen" Bürgern verbergen, werden
am Ende überleben: So auch Riccardo, der scheinbar treusorgende Vater, der
im Verlauf der Story neben Maria zu einem Sympathieträger wird und sich im
Finale des Films als skrupelloser Kidnapper entpuppt, der in seiner berechnenden
Kaltblütigkeit sogar noch Dottore & Co übertrumpft.
Das desillusionierte und ungeschönte Bild vom homo sapiens, das Bava
hier liefert, spiegelt sich auch in den Stilmitteln und im ganzen Look des Films
wieder. Die vorherrschenden Kulissen sind die sonnenüberflutete, trostlose
Landschaft, durch die die Reise führt und das Innere des Wagens als ein wahnwitziger
klaustrophobischer Mikrokosmos. Mit seinem visuellen Einfallsreichtum gelang es
Bava, Cani arrabbiati trotz der minimalistischen Stilmittel zu einem äußerst
beklemmenden Filmerlebnis zu machen. Der Großteil der Handlung spielt im
Auto und diese Bilder (häufig Großaufnahmen der verschwitzten Gesichter
der Protagonisten) bewirken, daß der Zuschauer emotionell schier eins mit
den Geiseln wird, die der brutalen Willkür der cani arrabbiati ausgesetzt
sind. Diese - verkörpert durch das antagonistische Trio Dottore, Trentadue
und Bisturi - werden jedoch nicht eindimensional als von menschlichen Regungen
völlig freie Monstren geschildert, was den Film angenehm von diversen stereotypen
Law-and-Order-Streifen abhebt. Sie befinden sich jenseits der gesellschaftlichen
Regeln, haben von der Gesellschaft nichts positives mehr zu erwarten und agieren
dementsprechend. Untereinander scheinen sie sich jedoch einen Rest von Menschlichkeit
bewahrt zu haben und der soziale Zusammenhalt der Gang wirkt (besonders zwischen
Bisturi und Trentadue, den auf Anhieb unsympathischsten Figuren) beinahe schon
familiär. Dennoch sind die drei Outlaws alles andere als Sympathieträger
oder Identifikationsfiguren und das Böse, das sie verkörpern, wird -
im krassen Gegenteil zu den gotischen Horrorfilmen Bavas - niemals heroisiert
und entbehrt jeglichen Glamours.
Cani arrabbiati ist zweifelsohne ein unbehagliches Filmerlebnis, das in
seiner realistischen Intensität bedrückender wirkt, als es jeder konventionelle
Horrorfilm je könnte. Den einen oder anderen, nur auf die stilisierten gotischen
Arbeiten Bavas fixierten Zuschauer wird dieser Film wohl etwas ratlos und irritiert
zurücklassen. Doch in seinem stilistischen Minimalismus und dank der glaubwürdigen
Charakterisierungen sowie einer wirklich guten Besetzung kann Cani arrabbiati
heute durchaus zu den wichtigsten italienischen Genreproduktionen der 70er Jahre
gerechnet werden.
Es ist eine weitere bittere Ironie in Bavas Karriere, daß er zu seinen Lebzeiten
niemals die Aufführung dieses ambitionierten Werks erleben konnte.
Im Jahr 2002 wurde übrigens gemeinsam von Bavas Sohn Lamberto und dem Produzenten
Alfredo Leone eine neue "restaurierte" Version von Cani arrabbiati
produziert: Lamberto Bava drehte mit seinem Sohn Roy einige zusätzliche Szenen
und Stelvio Cipriani (schon 1974 für die Vertonung verantwortlich) komponierte
einen kompletten neuen Soundtrack. Diese Neufassung wurde unter dem Titel Kidnapped!
herausgebracht und erlebte im Mai 2002 anläßlich einer Bava-Retrospektive
in Hollywood ihre Filmpremiere.
Daten zum Film:
CANI ARRABBIATI
(weitere Titel: SEMAFORO ROSSO, WILD DOGS, RABID DOGS, KIDNAPPED!)
Italien 1974, Farbe
Regie: Mario Bava
Buch: Cesare Frugoni, Alessandro Parenzo
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Emilio Varriano
Musik: Stelvio Cipriani
Schnitt: Carlo Reali
Darsteller: Riccardo Cucciolla (Riccardo), Maurice Poli (Dottore [Doc]), Lea Leander
(Maria), Luigi Montefiori (Trentadue [Thirty-two]), Aldo Caponi (Bisturi [Blade]),
Erika Dario (Maria), Francesco Ferrini (Tankwart)
Externe Links:
Sense of View:
Review (deutsch)
The
Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth
Trailer:
YouTube
New
York Times (Real + Windows Media)
Veröffentlichungen:
DVD:
- RABID DOGS, Lucertola Media (Deutschland), nicht mehr erhältlich
- WILD DOGS, Astro (Deutschland)
- WILD DOGS, Marketing Film (Deutschland)
- KIDNAPPED, Anchor Bay (USA), sogenannte "restaurierte" Version mit
nachträglich gedrehten Szenen von Lamberto Bava