Sinfonie der Grausamkeit:
SEI DONNE PER L'ASSASSINO

Die verwitwete Contessa Christina Cuomo betreibt zusammen mit Massimo Morlacchi einen Haute Couture-Modesalon in Rom. Eines Abends wird im Park vor dem Salon das Model Isabel Opfer eines brutalen Mordanschlags. Als die Polizei unter der Leitung von Inspektor Sylvester in dem Salon zu ermitteln beginnt, offenbart sich dort ein undurchschaubarer Sumpf aus Drogen, Korruption und Erpressung. Isabels Tagebuch, das offensichtlich Aufzeichnungen über all diese Affären enthält, wird von Nicole gefunden, die es später der Polizei übergeben will; unbemerkt kann es jedoch ihre Kollegin Peggy an sich nehmen. Als Nicole in der gleichen Nacht ihren Geliebten, den kokainsüchtigen Frank Scaolo in seinem Antiquitätenladen besuchen will, wird sie von einem maskierten Mann attackiert, der sie durch das Geschäft jagt und schließlich tötet. Nachdem der Mörder die Leiche vergeblich nach dem Tagebuch durchsucht hat, beschließt er, sich Peggy zu widmen und dringt in deren Apartment ein. Er entführt sie in einen Heizkeller und beginnt sie - trotz ihrer Beteuerungen, das Beweisstück schon längst verbrannt zu haben, grausam zu foltern. Als Peggy ihm schließlich die Maske herunterreißt und ihren Chef Morlacchi darunter erkennt, ist dies ihr Todesurteil. Der mit Contessa Cuomo liierte Morlacchi hatte seiner Geliebten einst bei der Ermordung ihres schwerreichen Ehemanns assistiert und ihr somit ein immenses Vermögen beschert. Allerdings entdeckte eines der Models - Isabel - die Wahrheit und begann Morlacchi zu erpressen, was schließlich zu ihrer Ermordung führte. Nur die Aufzeichnungen in Isabels Tagebuch konnten Morlacchi jetzt noch verraten.
Schließlich kommt Inspektor Sylvester zu der Erkenntnis, daß der Mörder sich unter den in den Modesalon involvierten Männern befinden muß und läßt kurzerhand all diese besagten Herren verhaften. Um ein für allemal den Verdacht von Morlacchi abzulenken, schlüpft nun die Contessa in die Rolle des Killers und ermordet ein weiteres Model. Die Rechnung geht auf und die Inhaftierten werden wieder freigelassen, doch Morlacchi gibt sich damit nicht zufrieden: Er will die Contessa noch einmal morden lassen...

Sei donne per l'assassino war von den deutschen Coproduzenten ursprünglich als ein weiterer kinokassenfüllender Beitrag zu der anhaltenden Edgar Wallace-Welle gedacht. Bava erschuf hier jedoch einen extrem hochstilisierten, kunstvollen Film, eine Sinfonie der Grausamkeit, dessen Gewaltdarstellungen für Zeit und Genre mehr als ungewöhnlich waren. Zwar gilt Bavas 1962 entstandene schwarze Komödie La ragazza che sapeva troppo als der erste Vertreter des typisch italienischen Thrillers, des Giallo, doch erst in Sei donne... nehmen die für dieses Subgenre typischen Elemente richtig Gestalt an: Die konventionellen Krimi-Elemente (die langwierige Ermittlungsarbeit der Polizei, ein Detektiv als Held etc.) werden hier in den Hintergrund geschoben oder einfach schlichtweg ignoriert. Die Morde als solche und die Art wie sie geschehen stehen hier im Vordergrund und werden zu einer makabren Kunstform erhoben. Anders als im modernen Slasherfilm der stereotypen Machart, wird in Sei donne... keinesfalls kübelweise Kunstblut verschüttet, dennoch ist die ästhetisierte Grausamkeit des Films berückend: Genau wie ein rundes Jahrzehnt später Dario Argento, kreierte Bava hier eine Form von "Todeskunst". Tödlich schön sind die Leichen in den durchgestylten Bildern arrangiert; blutrote Symbole (die lackierten Fingernägel und die Lippen der Models, die Vorhänge im Salon, Kleider, Telefone...) dominieren die Szenerie und ersetzen das profane Kunstblut auf eine unschlagbar elegante Weise.
Obwohl die Motivation für die Morde rein materieller Natur (Habgier und Erpressung) ist, durchzieht Sei donne.... ein beunruhigender fetischistischer Touch; auch das Giallo-typische Killeroutfit (der dunkle Regenmantel, Hut, schwarze Handschuhe) wird hier erstmals richtig kultiviert und sollte in den kommenden Jahren beinahe zu einem Markenzeichen dieses Genres werden.
Die ganze Stimmung ist zynisch und paranoid: Niemand der Protagonisten ist völlig unschuldig, niemand traut dem anderen, es gibt keinen "guten Helden" der für den Zuschauer als Sympathieträger agieren könnte - die "anständigen" jungen Mädchen und "aufrechten" Hüter des Gesetzes, die für die deutschen Edgar Wallace-Verfilmungen der 60er Jahre typisch sind, sucht man hier ebenso vergebens wie die klamaukhaften Komikeinlagen. Kritiker, die nach moralisch erhebenden Untertönen suchen, sind bei Sei donne... definitiv an der falschen Adresse. Fühlt man sich dazu bemüßigt, kann man den Film zwar durchaus auch als eine blutig-satirische Parabel über den Niedergang der Aristokratie und High Society bewerten (man betrachte in diesem Zusammenhang z. B. die Figur eines Marquis, der außer seinem Adelstitel nichts besitzt und sich von den im Salon beschäftigten Frauen aushalten läßt; nachdem Isabella und Greta getötet werden, ist er einige seiner Schulden los), doch dürfte politische Sozialkritik hier wohl kaum Mario Bavas größter Antrieb bei den Dreharbeiten gewesen sein. Vielmehr fällt entwirft der Regisseur hier einmal wieder ein desillusioniertes und zynisches Bild vom homo sapiens als triebhafte und raffgierige Kreatur: Die Protagonisten scheinen allesamt seelische Krüppel zu sein, niemand von ihnen ist fähig "normale" menschliche Emotionen zu empfinden - ein Paradebeispiel dafür ist der kokainsüchtige Antiquitätenhändler Frank, der auf die Tatsache, daß kurz nacheinander zwei Frauen, mit denen er ein Verhältnis hatte, Opfer eines sadistischen Killers werden, relativ unbeeindruckt reagiert und erst dann menschliche Regungen zeigt, als er selbst verdächtigt wird. Inspektor Reiner andererseits ist kalt wie ein Fisch und scheint tatsächlich nur dann etwas zu empfinden, wenn er andere Menschen ins Gefängnis bringen kann. Nur Contessa Christina erscheint - trotz ihrer Verstrickung in die Verbrechen - fast schon wieder als Sympathieträger; sie ist eine von Bavas typischen, starken und zugleich tragischen Frauenfiguren, wie sie z. B. auch sein Debüt La maschera del demonio oder das sadomasochistische Horrordrama La frusta e il corpo prägten. Der schurkische Massimo Morlacchi schließlich kann für den Modesalon und ein luxuriöses Leben viel Leidenschaft aufbringen, nicht jedoch für einen anderen Menschen. Er reißt Christina, die emotionell (und offensichtlich auch sexuell) von ihm abhängig ist, ins Unglück, als er sie zu dem Mord an ihrem Mann anstiftet. Fast erscheint es, als ob die extrem grausamen Morde, die Morlacchi begeht, für ihn ein Art Ersatzbefriedigung darstellten. Sein emotionelles Unvermögen reißt letztendlich auch ihn ins Verderben, als Christina ihn am Schluß des Films tötet.

Sei donne... ist eines der wichtigsten Kapitel in Mario Bavas Karriere, denn der Film markiert die Entwicklung des Regisseurs zu einem "modernen" Filmemacher. Die stilistisch einengenden Grenzen des Gothic-Horrors sind in diesem, in der Gegenwart angesiedelten Film (dessen Kosmos dennoch alles andere als nüchterner Realismus ist) nicht mehr vorhanden. Bavas erster Versuch in dieser Hinsicht, La ragazza che sapeva troppo, war bereits ein Schritt in diese Richtung, bleibt dem Zuschauer jedoch in erster Linie als gelungene Hitchcock-Parodie im Gedächtnis und entbehrt jener stilistischen Raffinesse und Kompromißlosigkeit, die Sei donne... auszeichnet. Ein weiterer Vorläufer, die Geschichte Il telefono aus dem ein Jahr zuvor entstandenem Episodenfilm I tre volti della paura, hat mit diesem Film schon weitaus mehr gemein, denn - obgleich dort nicht einmal ansatzweise jene exzessive graphische Gewalt zelebriert wird - besitzt sie schon den Stil und die perversen Untertöne von Sei donne... und kann als eine Art Pre-Giallo en miniature gewertet werden.
Visuell erscheint Sei donne... als ein perfekt photographiertes Meisterwerk von einer geradezu berauschenden sinnlichen Schönheit in Farben und Licht. Gedreht wurde der Film vom November 1963 bis Januar 1964 in der Villa Pamphili auf dem Gianicolo (einem der sieben Hügel Roms). Das bescheidene Budget von knappen 150.000 US-$ läßt sich beim Betrachten des Films nicht erahnen - für die Kamerafahrten z. B. wurde die Kamera auf einen Kinderwagen gesetzt und für die Aufwärtsfahrten war kein Kran, sondern eine Art Wippe vorhanden, auf deren anderes Ende sich Mitarbeiter des Drehteams setzten und so eine Aufwärtsbewegung verursachten.

Der Modesalon wird zu einem geheimnisvollen, blau und rot ausgeleuchteten, kleinen Universum, bevölkert von eleganten Geschöpfen, die fast ebenso irreal erscheinen, wie die bizarren Puppen, an denen die Modellkleider hängen. Die Morde erscheinen in ihrer surrealen Grausamkeit wie Bilder aus einem Fiebertraum: So wird z. B. Nicole mit einem grotesken dornenbewehrten Handschuh massakriert, nachdem der Killer sie - untermalt von Carlo Rustichellis aufpeitschenden Mambo-Rhythmen - in einer meisterhaft realisierten, enervierenden Sequenz quer durch das Antiquitätengeschäft gejagt hat; Peggy ergeht es noch schlimmer, denn nachdem sie den Täter erkannt hat, wird sie mit dem Gesicht in einen Ofen gesteckt... Bava fordert durch die brillante Inszenierung jener Sadismen den Zuschauer heraus, denn was sich in prosaischen Worten geschildert scheußlich liest, erscheint in dem Film in einer irritierenden Schönheit und Ästhetik (betrachtet man Dario Argentos spätere kunstvolle Todes-Choreographien, so ist Bavas Einfluß unschwer zu erkennen). Dies ist keine billige Effekthascherei sondern eine gewollte Provokation - die subjetive Kameraführung läßt den Zuschauer an diesen Verbrechen teilhaben, macht ihn zum Voyeur und Komplizen und konfrontiert ihn zugleich mit der Erkenntnis, daß dieses Geschehen weitaus mehr erregende Faszination als Abscheu bei ihm bewirkt.
Der Killer selbst bleibt ein gesichtsloser Anonymus, ein im wahrsten Sinn des Wortes "Schwarzer Mann", der unseren eigenen Alpträumen oder (was auf das selbe hinauslaufen kann) den schwärzesten Seiten unseres Selbst entsprungen scheint: das gestaltgewordene Böse, das jeder Mensch in sich trägt. Bevor sich die Zusammenhänge aufklären, hat diese Figur für den Zuschauer keinerlei nachvollziehbare Motivation, weder befindet sie sich auf einem persönlichen Rachefeldzug (und propagiert somit Selbstjustiz), noch ist sie ein eigentlich bemitleidenswerter Zeitgenosse wie das schizophrene Muttersöhnchen Norman Bates in Alfred Hitchcocks Psycho. Selbst als die Identität des Mörders schließlich enthüllt ist, hält diese Wirkung noch an - der Killer in Aktion ist für den Zuschauer weder Morlacchi noch Christina, sondern ein gestaltgewordener Alptraum..

© Thomas Wagner
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Daten zum Film:

SEI DONNE PER L'ASSASSINO
(weitere Titel: BLUTIGE SEIDE, SIX FEMMES POUR L'ASSASSIN, BLOOD AND BLACK LACE, SIX WOMEN FOR THE MURDERER)
Italien/Deutschland/Frankreich 1964, Farbe
Regie: Mario Bava
Buch: Marcello Fondata (in Zusammenarbeit mit Mario Bava und Alberto Bevilacqua)
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Ubaldo Terzano
Musik: Carlo Rustichelli
Schnitt: Mario Serandrei
Darsteller: Eva Bartok (Christina Cuomo), Cameron Mitchell (Massimo Morlacchi), Dante Di Paolo (Frank Scaolo), Thomas Reiner (Inspektor Silvester), Claude Dantes (Tao-Li), Mary Arden (Peggy), Arianna Gorini (Nicole), Lea Krugher (Greta), Luciano Pigozzi (Cesar Lesar), Massimo Righi (Marco), Franco Ressel (Marquis Morell), Francesca Ungaro (Isabel)


Externe Links:

B-Movies: Sehr schönes Bildmaterial + Inhaltsangabe
Sense of View: Review (deutsch)
The Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth
Kinoeye: Just another fashion victim (English article by Reynold Humphries)

Trailer:
New York Times (Real + Windows Media)


Veröffentlichungen:

DVD:
- BLOOD AND BLACK LACE, VCI Home Video (USA)
- BLUTIGE SEIDE, Anolis Entertainment, geplant für den 29.09.2005 (Deutschland)
- BLUTIGE SEIDE (Limited Edition), Anolis Entertainment (Deutschland)
- SEI DONNE PER L'ASSASSINO, Raro Video/Nocturno (Italien)

VHS:
- BLOOD AND BLACK LACE, VCI Home Video (USA)
- BLOOD AND BLACK LACE, Nouveaux Pictures (UK)
- BLUTIGE SEIDE, Laser Paradise (Deutschland)