Sinfonie der Grausamkeit:
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Sei donne per l'assassino war von den deutschen Coproduzenten
ursprünglich als ein weiterer kinokassenfüllender Beitrag
zu der anhaltenden Edgar Wallace-Welle gedacht. Bava erschuf hier jedoch
einen extrem hochstilisierten, kunstvollen Film, eine Sinfonie der Grausamkeit,
dessen Gewaltdarstellungen für Zeit und Genre mehr als ungewöhnlich
waren. Zwar gilt Bavas 1962 entstandene schwarze Komödie La
ragazza che sapeva troppo als der erste Vertreter des typisch italienischen
Thrillers, des Giallo, doch erst in Sei donne... nehmen die für
dieses Subgenre typischen Elemente richtig Gestalt an: Die konventionellen
Krimi-Elemente (die langwierige Ermittlungsarbeit der Polizei, ein Detektiv
als Held etc.) werden hier in den Hintergrund geschoben oder einfach
schlichtweg ignoriert. Die Morde als solche und die Art wie sie geschehen
stehen hier im Vordergrund und werden zu einer makabren Kunstform erhoben.
Anders als im modernen Slasherfilm der stereotypen Machart, wird in
Sei donne... keinesfalls kübelweise Kunstblut verschüttet,
dennoch ist die ästhetisierte Grausamkeit des Films berückend:
Genau wie ein rundes Jahrzehnt später Dario Argento, kreierte Bava
hier eine Form von "Todeskunst". Tödlich schön sind
die Leichen in den durchgestylten Bildern arrangiert; blutrote Symbole
(die lackierten Fingernägel und die Lippen der Models, die Vorhänge
im Salon, Kleider, Telefone...) dominieren die Szenerie und ersetzen
das profane Kunstblut auf eine unschlagbar elegante Weise.
Obwohl die Motivation für die Morde rein materieller Natur (Habgier
und Erpressung) ist, durchzieht Sei donne.... ein beunruhigender
fetischistischer Touch; auch das Giallo-typische Killeroutfit (der dunkle
Regenmantel, Hut, schwarze Handschuhe) wird hier erstmals richtig kultiviert
und sollte in den kommenden Jahren beinahe zu einem Markenzeichen dieses
Genres werden.
Die ganze Stimmung ist zynisch und paranoid: Niemand der Protagonisten
ist völlig unschuldig, niemand traut dem anderen, es gibt keinen
"guten Helden" der für den Zuschauer als Sympathieträger
agieren könnte - die "anständigen" jungen Mädchen
und "aufrechten" Hüter des Gesetzes, die für die
deutschen Edgar Wallace-Verfilmungen der 60er Jahre typisch sind, sucht
man hier ebenso vergebens wie die klamaukhaften Komikeinlagen. Kritiker,
die nach moralisch erhebenden Untertönen suchen, sind bei Sei
donne... definitiv an der falschen Adresse. Fühlt man sich
dazu bemüßigt, kann man den Film zwar durchaus auch als eine
blutig-satirische Parabel über den Niedergang der Aristokratie
und High Society bewerten (man betrachte in diesem Zusammenhang z. B.
die Figur eines Marquis, der außer seinem Adelstitel nichts besitzt
und sich von den im Salon beschäftigten Frauen aushalten läßt;
nachdem Isabella und Greta getötet werden, ist er einige seiner
Schulden los), doch dürfte politische Sozialkritik hier wohl kaum
Mario Bavas größter Antrieb bei den Dreharbeiten gewesen
sein. Vielmehr fällt entwirft der Regisseur hier einmal wieder
ein desillusioniertes und zynisches Bild vom homo sapiens als triebhafte
und raffgierige Kreatur: Die Protagonisten scheinen allesamt seelische
Krüppel zu sein, niemand von ihnen ist fähig "normale"
menschliche Emotionen zu empfinden - ein Paradebeispiel dafür ist
der kokainsüchtige Antiquitätenhändler Frank, der auf
die Tatsache, daß kurz nacheinander zwei Frauen, mit denen er
ein Verhältnis hatte, Opfer eines sadistischen Killers werden,
relativ unbeeindruckt reagiert und erst dann menschliche Regungen zeigt,
als er selbst verdächtigt wird. Inspektor Reiner andererseits ist
kalt wie ein Fisch und scheint tatsächlich nur dann etwas zu empfinden,
wenn er andere Menschen ins Gefängnis bringen kann. Nur Contessa
Christina erscheint - trotz ihrer Verstrickung in die Verbrechen - fast
schon wieder als Sympathieträger; sie ist eine von Bavas typischen,
starken und zugleich tragischen Frauenfiguren, wie sie z. B. auch sein
Debüt La maschera del demonio oder das sadomasochistische
Horrordrama La frusta e il corpo prägten. Der schurkische
Massimo Morlacchi schließlich kann für den Modesalon und
ein luxuriöses Leben viel Leidenschaft aufbringen, nicht jedoch
für einen anderen Menschen. Er reißt Christina, die emotionell
(und offensichtlich auch sexuell) von ihm abhängig ist, ins Unglück,
als er sie zu dem Mord an ihrem Mann anstiftet. Fast erscheint es, als
ob die extrem grausamen Morde, die Morlacchi begeht, für ihn ein
Art Ersatzbefriedigung darstellten. Sein emotionelles Unvermögen
reißt letztendlich auch ihn ins Verderben, als Christina ihn am
Schluß des Films tötet.
Sei donne... ist eines der wichtigsten Kapitel in Mario Bavas
Karriere, denn der Film markiert die Entwicklung des Regisseurs zu einem
"modernen" Filmemacher. Die stilistisch einengenden Grenzen
des Gothic-Horrors sind in diesem, in der Gegenwart angesiedelten Film
(dessen Kosmos dennoch alles andere als nüchterner Realismus ist)
nicht mehr vorhanden. Bavas erster Versuch in dieser Hinsicht, La
ragazza che sapeva troppo, war bereits ein Schritt in diese Richtung,
bleibt dem Zuschauer jedoch in erster Linie als gelungene Hitchcock-Parodie
im Gedächtnis und entbehrt jener stilistischen Raffinesse und Kompromißlosigkeit,
die Sei donne... auszeichnet. Ein weiterer Vorläufer, die
Geschichte Il telefono aus dem ein Jahr zuvor entstandenem Episodenfilm
I tre volti della paura, hat mit diesem Film schon weitaus mehr
gemein, denn - obgleich dort nicht einmal ansatzweise jene exzessive
graphische Gewalt zelebriert wird - besitzt sie schon den Stil und die
perversen Untertöne von Sei donne... und kann als eine Art
Pre-Giallo en miniature gewertet werden.
Visuell erscheint Sei donne... als ein perfekt photographiertes
Meisterwerk von einer geradezu berauschenden sinnlichen Schönheit
in Farben und Licht. Gedreht wurde der Film vom November 1963 bis Januar
1964 in der Villa Pamphili auf dem Gianicolo (einem der sieben Hügel
Roms). Das bescheidene Budget von knappen 150.000 US-$ läßt
sich beim Betrachten des Films nicht erahnen - für die Kamerafahrten
z. B. wurde die Kamera auf einen Kinderwagen gesetzt und für die
Aufwärtsfahrten war kein Kran, sondern eine Art Wippe vorhanden,
auf deren anderes Ende sich Mitarbeiter des Drehteams setzten und so
eine Aufwärtsbewegung verursachten.
Der Modesalon wird zu einem geheimnisvollen, blau und rot ausgeleuchteten,
kleinen Universum, bevölkert von eleganten Geschöpfen, die
fast ebenso irreal erscheinen, wie die bizarren Puppen, an denen die
Modellkleider hängen. Die Morde erscheinen in ihrer surrealen Grausamkeit
wie Bilder aus einem Fiebertraum: So wird z. B. Nicole mit einem grotesken
dornenbewehrten Handschuh massakriert, nachdem der Killer sie - untermalt
von Carlo Rustichellis aufpeitschenden Mambo-Rhythmen - in einer meisterhaft
realisierten, enervierenden Sequenz quer durch das Antiquitätengeschäft
gejagt hat; Peggy ergeht es noch schlimmer, denn nachdem sie den Täter
erkannt hat, wird sie mit dem Gesicht in einen Ofen gesteckt... Bava
fordert durch die brillante Inszenierung jener Sadismen den Zuschauer
heraus, denn was sich in prosaischen Worten geschildert scheußlich
liest, erscheint in dem Film in einer irritierenden Schönheit und
Ästhetik (betrachtet man Dario Argentos spätere kunstvolle
Todes-Choreographien, so ist Bavas Einfluß unschwer zu erkennen).
Dies ist keine billige Effekthascherei sondern eine gewollte Provokation
- die subjetive Kameraführung läßt den Zuschauer an
diesen Verbrechen teilhaben, macht ihn zum Voyeur und Komplizen und
konfrontiert ihn zugleich mit der Erkenntnis, daß dieses Geschehen
weitaus mehr erregende Faszination als Abscheu bei ihm bewirkt.
Der Killer selbst bleibt ein gesichtsloser Anonymus, ein im wahrsten
Sinn des Wortes "Schwarzer Mann", der unseren eigenen Alpträumen
oder (was auf das selbe hinauslaufen kann) den schwärzesten Seiten
unseres Selbst entsprungen scheint: das gestaltgewordene Böse,
das jeder Mensch in sich trägt. Bevor sich die Zusammenhänge
aufklären, hat diese Figur für den Zuschauer keinerlei nachvollziehbare
Motivation, weder befindet sie sich auf einem persönlichen Rachefeldzug
(und propagiert somit Selbstjustiz), noch ist sie ein eigentlich bemitleidenswerter
Zeitgenosse wie das schizophrene Muttersöhnchen Norman Bates in
Alfred Hitchcocks Psycho. Selbst als die Identität des Mörders
schließlich enthüllt ist, hält diese Wirkung noch an
- der Killer in Aktion ist für den Zuschauer weder Morlacchi noch
Christina, sondern ein gestaltgewordener Alptraum..
Daten zum Film:
SEI DONNE PER L'ASSASSINO
(weitere Titel: BLUTIGE SEIDE, SIX FEMMES POUR L'ASSASSIN, BLOOD AND BLACK LACE,
SIX WOMEN FOR THE MURDERER)
Italien/Deutschland/Frankreich 1964, Farbe
Regie: Mario Bava
Buch: Marcello Fondata (in Zusammenarbeit mit Mario Bava und Alberto Bevilacqua)
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Ubaldo Terzano
Musik: Carlo Rustichelli
Schnitt: Mario Serandrei
Darsteller: Eva Bartok (Christina Cuomo), Cameron Mitchell (Massimo Morlacchi),
Dante Di Paolo (Frank Scaolo), Thomas Reiner (Inspektor Silvester), Claude Dantes
(Tao-Li), Mary Arden (Peggy), Arianna Gorini (Nicole), Lea Krugher (Greta), Luciano
Pigozzi (Cesar Lesar), Massimo Righi (Marco), Franco Ressel (Marquis Morell),
Francesca Ungaro (Isabel)
Externe Links:
B-Movies: Sehr
schönes Bildmaterial + Inhaltsangabe
Sense of View:
Review (deutsch)
The
Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth
Kinoeye:
Just another fashion victim (English article by Reynold Humphries)
Trailer:
New
York Times (Real + Windows Media)
Veröffentlichungen:
DVD:
- BLOOD AND BLACK LACE, VCI Home Video (USA)
- BLUTIGE SEIDE, Anolis Entertainment, geplant für den 29.09.2005 (Deutschland)
- BLUTIGE SEIDE (Limited Edition), Anolis Entertainment (Deutschland)
- SEI DONNE PER L'ASSASSINO, Raro Video/Nocturno (Italien)
VHS:
- BLOOD AND BLACK LACE, VCI Home Video (USA)
- BLOOD AND BLACK LACE, Nouveaux Pictures (UK)
- BLUTIGE SEIDE, Laser Paradise (Deutschland)