Rorschach-Sex:
QUANTE VOLTE...QUELLA NOTTE

Als die junge Tina im Park ihren Hund ausführt, begegnet sie dem Playboy John. Im Verlauf seiner Annäherungsversuche verfängt dieser sich in der Hundeleine, landet zu Tinas Füßen und schließlich verabredet man sich zu einem abendlichen Rendezvous. Allerdings verläuft der Abend gänzlich anders, als erwartet... Tina kehrt erst im Morgengrauen heim und ihr teures Kleid ist zerrissen. Ihrer Mutter (die sich eigentlich mehr Sorgen um das Kleid als um das Befinden ihrer Tochter macht) berichtet sie, wie es dazu kam: Eigentlich wollte sie pünktlich wieder zu Hause sein, doch John überredete sie, noch mit in seine Wohnung zu kommen. Kaum dort angelangt, verriegelte er die Tür und stürzte sich wie ein wildes Tier auf sie. Nur mit Mühe und Not konnte sie den Attacken dieses Wüstlings - bei denen ihr schönes teures Kleid zerrissen wurde - gerade noch entkommen... Zur selben Zeit findet sich John mit zerkratztem Gesicht in einer Bar ein und erzählt seinen Freunden dort eine gänzlich andere Version der Geschichte: Er hatte überhaupt nicht mehr im Sinn, als einfach nur einen harmlosen, netten Abend mit Tina zu verbringen, als sie plötzlich darauf bestand, ihn noch in seine Wohnung zu begleiten. Hier entpuppte sich das scheinbar brave Mädchen plötzlich als sexhungriger Vamp, verging sich an dem armen John bis zu dessen völligem Zusammenbruch und zerkratzte ihm letztendlich auch noch das Gesicht... Und nach dieser detaillierten Schilderung wendet sich die Handlung noch einer dritten, ganz anderen Interpretation zu: Johns Hausmeister - ein versoffener Voyeur, der seine Arbeitszeit am liebsten mit Pornomagazinen verbringt und gern den Mietern nachspioniert - berichtet seinem Freund dem Milchmann gerade von den schockierenden Szenen, deren Zeuge er angeblich in der nämlichen Nacht wurde. John, der hier als skrupellose, bisexuelle Tunte geschildert wird, hatte Tina in seine Wohnung gelockt und sie dort betrunken gemacht. Als schließlich auch noch Johns Nachbarn - die lesbische Photographin Esmeralda und der schwule George - eintrafen, begannen sich orgienartige Zustände anzubahnen...
Nach dieser Episode unterbricht plötzlich ein Psychiater das Geschehen und wendet sich an den Zuschauer. Von ihm erfahren wir, daß die wirkliche Wahrheit über die Ereignisse dieser Nacht ein gänzlich anderes Gesicht hat...

Die auf den liberalen Zeitgeist der Swinging Sixties zugeschnittene Erotikkomödie Quante volte...quella notte stellt eine kuriose Ausnahmeerscheinung im Oeuvre Mario Bavas dar und blieb auch seine einzige Arbeit in diesem Genre. Der Film markiert übrigens den Beginn der Zusammenarbeit zwischen Bava und dem Produzenten Alfredo Leone, für den er später auch noch die Horrorfilme Gli orrori del castello di Norimberga und Lisa e il diavolo drehen sollte.
Quante volte... ist ein sprudelnder Cocktail aus grotesker Situationskomik und Gesellschaftssatire. Das hippe Schickeria-Umfeld Johns wird hier ebenso aufs Korn genommen, wie das durch den Hausmeister - der sich ausgiebig über die verkommene moderne Jugend ausläßt, die nur noch Sex und Drogen im Kopf hat - verkörperte, reaktionär-heuchlerische Spießbürgertum. Optisch präsentiert sich auch dieser Film Bava-typisch als perfekte, in verschwenderischen Farben abgefilmte, Symbiose aus Stil und Design: Es gibt reichlich raffiniert arangierte Effektspielereien, originelle Kameraperspektiven und den kitschig-schönsten Sixties-Chic zu bewundern.
Daß Mario Bava an sich keine künstlerischen Berührungsängste mit dem Thema Sex hatte, ist offensichtlich, denkt man nur an einige seiner besten Filme, in denen dieser Bereich des menschlichen Daseins - wenngleich meist als obsessiv-erotische Grundstimmung - nicht gerade unbedeutend in die Handlung einfließt. Dennoch war Bava kein großer Freund von ausgewalzten Sexszenen und so realisierte er die diesbezüglichen Sequenzen hier mit dem gewohnten Einfallsreichtum, anstatt in den üblichen Softcoreschwulst abzugleiten. So weist die Kamera dem Betrachter des Films die Rolle eines Voyeurs zu, präsentiert das Geschehen aus ungewöhnlichen, häufig verwinkelten Perspektiven und der dem Blick meist nie ganz freigegebene, oftmals von Teilen des Interieurs verdeckte, nackte Körper wird geradezu zu einem Bestandteil des ihn umgebenden Designs. Stilistische Vergleiche mit den frühen Werken Radley Metzgers oder z. B. mit Jess Francos kunstvollen Erotik-Phantasmagorien Venus in Furs und Necronomicon bieten sich durchaus an. Ähnlicher optischer Tricks bediente Bava sich später auch in Lisa e il diavolo, um die darin enthaltenen Nackstzenen von Elke Sommer und Sylva Koscina zu inszenieren.

Zu der Grundidee, ein Ereignis aus verschiedenen Gesichtspunkten erzählen zu lassen, ließ Bava sich übrigens durch Akira Kurosawas - auf Ryonosuke Akutagawas gleichnamiger Erzählung basierendem - Film Rashomon inspirieren. Und wie in dem japanischen Klassiker ist die Wahrheit auch in Quante volte... eine sehr subjektive, dehnbare Angelegenheit. Dies deutet schon der animierte Rorschachtest im Vorspann an: Tintenklecksgebilde ohne tiefere Bedeutung, in denen jedoch jeder Mensch etwas anderes zu erkennen glaubt bzw. sehen will. Drei verschiedene Versionen ein und derselben Geschichte werden hier erzählt; jeder Erzähler ist natürlich darauf bedacht, sich selbst im besten Licht darzustellen und läßt hier zugleich sein eigenes Wunschdenken Gestalt annehmen: Tina als mißbrauchtes Unschuldslamm, John als männliches Sexobjekt und der Hausmeister schließlich als angeblicher Zeuge eines promiskuitiven Happenings, wie er es ansonsten nur aus seinen Pornomagazinen kennt. Doch nichts von all dem ist wirklich passiert. Die tatsächliche Auflösung, die in dem recht grotesk anmutenden Finale ein an Sigmund Freud erinnernder Psychiater präsentiert, erscheint nach den vorangegangenen Schilderungen geradezu absurd banal - aber dennoch steckt in jeder Version irgendwo ein Körnchen Wahrheit.

Quante volte...quella notte ist einer der unterbewertesten und unbekanntesten Filme Mario Bavas. Bedauerlich, denn mit dieser Komödie hinterließ er ein ausgesprochen charmantes, optisch durchgestyltes und temporeiches Stück Sixties-Popart-Kino. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

© Thomas Wagner
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Daten zum Film:

QUANTE VOLTE ... QUELLA NOTTE
(weitere Titel: VIER MAL HEUTE NACHT, FOUR TIMES THAT NIGHT)
Italien / Deutschland 1969, Farbe
Regie: Mario Bava
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Antonio Rinaldi
Story: Charles Ross
Buch: Mario Bava, Mario Moroni
Musik: Lallo Gori
Schnitt: Otello Colangelli
Darsteller: Brett Halsey (John Price), Daniela Giordano (Tina Brant), Pascale Petit (Esmeralda), Dick Randall (Hausmeister), Michael Hinz (George), Valeria Sabel (Mrs. Brant), Rainer Basedow (Milchmann), Brigitte Skay (Moo-Moo)


Externe Links:

The Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth


Veröffentlichungen:

DVD:
- FOUR TIMES THAT NIGHT, Image Entertainment (USA)
- QUANTE VOLTE QUELLA NOTTE, EMI Film (Italien) - diese Fassung ist gekürzt!
- QUANTE VOLTE QUELLA NOTTE, Raro Video/Nocturno (Italien)

VHS:
- FOUR TIMES THAT NIGHT, Eurotika (UK)