Ein Hundeleben:
CANI ARRABBIATI

Vier Gangster überfallen einen Lohngeldtransport und schnell wird klar, daß es sich hier um drei zu allem entschlossene Galgenvögel handelt, denen ein Menschenleben nicht viel gilt. Nachdem sie das Geld geraubt und einige Leichen am Tatort zurückgelassen haben, werden sie auf der Flucht in eine Schießerei mit der Polizei verwickelt, in deren Verlauf ein Mitglied der Bande getötet und ihr Wagen schwer beschädigte wird. Die verbleibenen drei Gangster - wir lernen diese nur unter ihren Spitznamen Dottore, Trentadue und Bisturi kennen - flüchten in ein Parkhaus und überwältigen dort zwei Frauen, die gerade ihre Einkäufe in einem Auto verstauen wollen. Als die Polizei anrückt ermordet Bisturi kaltblütig eine der Geiseln, worauf die Polizei - um das Leben der anderen Frau zu schonen - ihnen freien Abzug gewährt.
Gemeinsam mit ihrer Geisel, Maria, besteigen sie den Wagen und machen sich an die Flucht aus der Stadt.
Kurz darauf kapern sie an einer roten Ampel ein anderes Auto, um so die Polizei von ihrer Spur abzulenken.Der Fahrer, Riccardo, bittet die Gangster ihn gehen zu lassen und verweist auf seinen kleinen Sohn, der ohnmächtig auf der Rückbank liegt und dringend ins Krankenhaus muß. Sein Bitten ist jedoch vergeblich und er wird gezwungen sie aus der Stadt hinauszubringen.

Die Weiterfahrt artet recht bald in eine nervenzerfetzende Tortur aus. Der ständig mit seinem Messer hantierende Bisturi (= Skalpell) ist ein kaltblütiger Killer. Noch schlimmer ist Trentadue (= zweiunddreißig), der - wie er betont - seinen Spitznamen von den Dimensionen in seiner Unterhose ableitet; ein brutaler und unberechenbarer Riese jenseits aller sozialen oder ethischen Befindlichkeiten. Einzig Dottore, der intellektuelle Kopf der Bande, erscheint noch als vernunftgeleiteter Faktor, doch auch er läßt keinen Zweifel daran, daß er jederzeit bereit ist, über Leichen zu gehen. Die Situation in dem vollbesetzten Wagen wird in der brütenden Hitze des Tages immer unerträglicher. Ein Fluchtversuch Marias scheitert kläglich und nachdem Trentadue einen Stop bei einer Autobahnraststätte nutzt, um sich eine Flasche Whiskey zu kaufen, eskaliert die Situation. Im Vollrausch versucht er Maria auf dem Rücksitz des Wagens während der Fahrt zu vergewaltigen. Trotz der Aufforderung Dottores, der zu Recht fürchtet, daß andere Reisende auf die Vorgänge in dem Wagen aufmerksam werden könnten, läßt Trentadue nicht von seinem Vorhaben ab. Da sich kein anderer Ausweg mehr bietet, schießt Dottore schließlich auf ihn und verwundet ihn schwer. Bewegungsunfähig befindet sich Trentadue fortan in einem jämmerlichen Zustand schweigender Agonie und sein Tod ist nur noch eine Frage der Zeit.

Als bald darauf der Wagen dringend aufgetankt werden muß, kommt es zu einem neuen Problem: Bei einer Tankstelle taucht eine junge Frau auf, die sich ebenfalls als Maria vorstellt und Dottore bedrängt, sie mitzunehmen. Sie öffnet die Fondtür von Riccardos Auto, worauf Trentadues blutbefleckte Hand sichtbar wird, was die ununterbrochen plappernde Maria 2 allerdings nicht bemerkt. Doch der gerade aus seiner Mittagspause gerissene Tankwart registriert dies sehr wohl. Um eine Szene zu vermeiden und nicht noch mehr kostbare Zeit zu verlieren, gibt Dottore nach und gemeinsam mit der neuen Mitfahrerin wird die "Reise" fortgesetzt. Der Tankwart, der sich jetzt wohl einiges zusammenreimen mag, blickt ihnen skeptisch nach, zögert einen Moment - und legt sich dann mit einem Achselzucken wieder zum Mittagsschlaf nieder. Allein diese kurze Szene sagt wohl alles über Bavas nicht gerade euphorische Weltsicht aus.
Die neue Mitreisende entpuppt sich als ebenso naiv wie extrovertiert. Sie erkennt nicht im mindesten den Ernst der Lage, stattdessen plaudert sie pausenlos, macht Witze über den "schlafenden" Trentadue und schlägt schließlich sogar vor, gemeinsam ein Lied zu singen. Erst als sie in ihrem Übermut Trentadue die Decke vom Körper zieht und die blutende Wunde entdeckt, schwant ihr, worauf sie sich eingelassen hat. Doch schon im nächsten Moment rammt ihr Bisturi sein Messer in die Kehle.
Kurz darauf befiehlt Dottore anzuhalten um die toten bzw. halbtoten Mitreisenden loszuwerden. Marias Leiche wird kurzerhand von einem Abhang geworfen; der sterbende Trentadue wird im Anschluß in eine Ebene geschleppt, wo Bisturi ihm den "Gnadenschuß" verpassen muß.
Schließlich gelangt die Gruppe bei einer alten, halbverfallenen Villa an, dem eigentlichen Ziel Dottores. Dort warten ein Fluchtwagen und gefälschte Papiere für die Flucht außer Landes auf die Gangster.
Es wird nun völlig klar, daß Dottore und Bisturi - allein schon um sich aller Zeugen zu entledigen - vorhaben, ihre Geiseln zu töten. Dottore befiehlt Riccardo, das bewußtlose Kind aus dem Auto zu holen, worauf dieser zur allgemeinen Überraschung plötzlich eine Pistole aus der Decke des Jungen hervorzieht. Er erschießt zuerst den völlig überrumpelten Dottore und dann Bisturi, der jedoch noch in der Lage ist Maria zu töten. Im Anschluß verfrachtet Riccardo das Kind und die gestohlenen Lohngelder in den bereitgestellten Fluchtwagen und macht sich an die Weiterfahrt.
Wenig später stoppt Riccardo bei einer Tankstelle und tätigt einen Telefonanruf: Einer in Tränen aufgelösten Frau am anderen Ende teilt er mit, daß es ihrem Sohn gut gehe - aber daß es sie 3 Milliarden Lire kosten wird, ihn jemals lebendig wiederzusehen...

Cani arrabbiati war - ebenso wie der ein Jahr zuvor entstandene Lisa e il diavolo - ein besonders ambitioniertes Projekt Bavas, das ihm sehr am Herzen lag. Um so niederschmetternder war es für den Regisseur, als der Film das Schicksal seines Vorgängers teilte und ebenfalls nie zu einer breiten Aufführung gelangte: Kaum eine Woche nach der Fertigstellung von Cani arrabbiati wurden die Besitztümer des hochverschuldeten Produzenten - darunter auch dieser Film - von dessen Gläubigern konfisziert. Für mehr als zwei Jahrzehnte blieb der Film unter Verschluß, auch die späteren Versuche Lamberto Bavas, die Rechte am Film seines Vaters zurückzukaufen scheiterten. Erst 1996 wurde von dem dem deutschen Label Lucertola eine - unter der Mitwirkung der Coproduzentin und Hauptdarstellerin Lea Leander (die als Lea Krugher bereits in Sei donne per l'assassino mit Bava zusammengearbeitet hatte) - liebevoll rekonstruierte Fassung des Films als DVD veröffentlicht. Für alle Bavaphilen war dies eine große Überraschung, denn was sich hier bot, hatte weder mit den märchenhaft-surrealen Alptraumwelten, noch mit den stilisierten eleganten Gialli Bavas noch viel zu tun.
Cani arrabbiati ist ein knochentrockener, zynischer und desillusionierter Thriller. Ein zugleich ernüchternder wie auch beängstigender Realismus dominiert den Film - "die Welt ist schlecht" lautet die simple und im Kontext des Films unschwer nachvollziehbare Botschaft. Es gibt nur Täter und Opfer und die "räuberischen Hunde" (eben die cani arrabbiati), die sich auch in vielen "anständigen" Bürgern verbergen, werden am Ende überleben: So auch Riccardo, der scheinbar treusorgende Vater, der im Verlauf der Story neben Maria zu einem Sympathieträger wird und sich im Finale des Films als skrupelloser Kidnapper entpuppt, der in seiner berechnenden Kaltblütigkeit sogar noch Dottore & Co übertrumpft.
Das desillusionierte und ungeschönte Bild vom homo sapiens, das Bava hier liefert, spiegelt sich auch in den Stilmitteln und im ganzen Look des Films wieder. Die vorherrschenden Kulissen sind die sonnenüberflutete, trostlose Landschaft, durch die die Reise führt und das Innere des Wagens als ein wahnwitziger klaustrophobischer Mikrokosmos. Mit seinem visuellen Einfallsreichtum gelang es Bava, Cani arrabbiati trotz der minimalistischen Stilmittel zu einem äußerst beklemmenden Filmerlebnis zu machen. Der Großteil der Handlung spielt im Auto und diese Bilder (häufig Großaufnahmen der verschwitzten Gesichter der Protagonisten) bewirken, daß der Zuschauer emotionell schier eins mit den Geiseln wird, die der brutalen Willkür der cani arrabbiati ausgesetzt sind. Diese - verkörpert durch das antagonistische Trio Dottore, Trentadue und Bisturi - werden jedoch nicht eindimensional als von menschlichen Regungen völlig freie Monstren geschildert, was den Film angenehm von diversen stereotypen Law-and-Order-Streifen abhebt. Sie befinden sich jenseits der gesellschaftlichen Regeln, haben von der Gesellschaft nichts positives mehr zu erwarten und agieren dementsprechend. Untereinander scheinen sie sich jedoch einen Rest von Menschlichkeit bewahrt zu haben und der soziale Zusammenhalt der Gang wirkt (besonders zwischen Bisturi und Trentadue, den auf Anhieb unsympathischsten Figuren) beinahe schon familiär. Dennoch sind die drei Outlaws alles andere als Sympathieträger oder Identifikationsfiguren und das Böse, das sie verkörpern, wird - im krassen Gegenteil zu den gotischen Horrorfilmen Bavas - niemals heroisiert und entbehrt jeglichen Glamours.

Cani arrabbiati ist zweifelsohne ein unbehagliches Filmerlebnis, das in seiner realistischen Intensität bedrückender wirkt, als es jeder konventionelle Horrorfilm je könnte. Den einen oder anderen, nur auf die stilisierten gotischen Arbeiten Bavas fixierten Zuschauer wird dieser Film wohl etwas ratlos und irritiert zurücklassen. Doch in seinem stilistischen Minimalismus und dank der glaubwürdigen Charakterisierungen sowie einer wirklich guten Besetzung kann Cani arrabbiati heute durchaus zu den wichtigsten italienischen Genreproduktionen der 70er Jahre gerechnet werden.
Es ist eine weitere bittere Ironie in Bavas Karriere, daß er zu seinen Lebzeiten niemals die Aufführung dieses ambitionierten Werks erleben konnte.

Im Jahr 2002 wurde übrigens gemeinsam von Bavas Sohn Lamberto und dem Produzenten Alfredo Leone eine neue "restaurierte" Version von Cani arrabbiati produziert: Lamberto Bava drehte mit seinem Sohn Roy einige zusätzliche Szenen und Stelvio Cipriani (schon 1974 für die Vertonung verantwortlich) komponierte einen kompletten neuen Soundtrack. Diese Neufassung wurde unter dem Titel Kidnapped! herausgebracht und erlebte im Mai 2002 anläßlich einer Bava-Retrospektive in Hollywood ihre Filmpremiere.

© Thomas Wagner
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Daten zum Film:

CANI ARRABBIATI
(weitere Titel: SEMAFORO ROSSO, WILD DOGS, RABID DOGS, KIDNAPPED!)
Italien 1974, Farbe
Regie: Mario Bava
Buch: Cesare Frugoni, Alessandro Parenzo
Kamera: Mario Bava
Kameraführung: Emilio Varriano
Musik: Stelvio Cipriani
Schnitt: Carlo Reali
Darsteller: Riccardo Cucciolla (Riccardo), Maurice Poli (Dottore [Doc]), Lea Leander (Maria), Luigi Montefiori (Trentadue [Thirty-two]), Aldo Caponi (Bisturi [Blade]), Erika Dario (Maria), Francesco Ferrini (Tankwart)


Externe Links:

Sense of View: Review (deutsch)
The Mario Bava Web Page: English review by Troy Howarth

Trailer:
YouTube
New York Times (Real + Windows Media)


Veröffentlichungen:

DVD:
- RABID DOGS, Lucertola Media (Deutschland), nicht mehr erhältlich
- WILD DOGS, Astro (Deutschland)
- WILD DOGS, Marketing Film (Deutschland)
- KIDNAPPED, Anchor Bay (USA), sogenannte "restaurierte" Version mit nachträglich gedrehten Szenen von Lamberto Bava