| SRPÜNGE IM WEISSEN MARMOR Sherlock Holmes bei Granada TV
In
den Jahren 1983 bis 1993 entstand in Großbritannien im Auftrag der Granada
TV eine Fernsehserie um den berühmten Meisterdetektiv Sherlock Holmes, die
sich in vielem von früheren Verfilmungen unterschied und dafür vor allem
in den USA großen Erfolg und viel Lob erntete. Hierzulande ist die Serie
ziemlich unbekannt, obwohl sie in den achtziger Jahren von den ehemaligen DDR-Fernsehsendern
und später von VOX gezeigt wurde. Sie lief in England unter dem Titel "The
Adventures of Sherlock Holmes". Es waren zunächst dreizehn Folgen von
50 Minuten Länge geplant; in der letzten Episode "The Final Problem"
stürzt Holmes mit Dr. Moriarty in die Reichenbachfälle. Alle halten
ihn für tot, doch ist dieser Schluß ein klassisches Open End, wie geschaffen
für seine Wiederkehr. In der Tat hat es bald darauf eine Fortsetzung der
Serie unter dem Titel "The Return of Sherlock Holmes" gegeben.
1988 ging man dann dazu über, eine Reihe von zweistündigen Spielfilmen
zu produzieren: "The Hound of the Baskervilles", "The Sign of Four",
"The Master Blackmailer", "The Last Vampire" und "The
Eligible Bachelor". Auf diese fünf wird im Verlauf dieses Artikels noch
näher eingegangen werden. Nach Abschluß der Dreharbeiten an den Zweistündern
begann man nochmals mit einer Serie von kurzen Episoden, die unter dem Titel "The
Memoirs of Sherlock Holmes" laufen sollten und leider nur bis zur sechsten
Folge fertiggestellt wurden. Der auffälligste Unterschied zwischen den Fernsehepisoden
und den Zweistündern liegt darin, daß man die Vorlagen des Sir Arthur
Conan Doyle bei zweiteren weiter gestreckt und fiktionär ausgebaut hat. Die
Fernsehserie hat sich (nicht zuletzt dank ihres Hauptdarstellers und Perfektionisten
Jeremy Brett, der mit Doyles Geschichten in der Tasche immer eifersüchtig
über möglichst genaue Wiedergabe wachte) recht eng an die literarische
Vorlage gehalten, ganz im Unterschied zu den früheren Verfilmungen, deren
berühmteste wohl die schwarzweiße US-Serie mit Basil Rathbone in der
Rolle des großen Detektivs war. Leider ist diese Serie nicht besonders gelungen.
Der Fehler ist nicht bei Rathbone zu suchen, der eine - wie stets - disziplinierte
und adäquate Darstellung seiner Persona darbot. Aber die Drehbücher
waren so hanebüchen und zusammengeschustert, die Sets so uninteressant, daß
die Rathbone-Filme einem Vergleich mit der neuen Serie nicht standzuhalten vermögen.
In
keiner anderen Holmes-Verfilmung (außer bei "The Hound of the Baskervilles"
von HAMMER) sind die Kulissen so stimmungsvoll und liebevoll-verspielt bis ins
Detail hinein, kein anderes Baker Street-Set hat jemals so eine Aura von viktorianischer
Gemütlichkeit und Orientteppich-Luxus verbreitet. Man hat sich bemüht,
die literarische Vorlage authentisch wiederzugeben. In der ersten Staffel verkörperte
David Burke den Dr. Watson, aber er wurde bereits in der 13. Episode von Edward
Hardwicke (Nachkomme von Sir Cedric Hardwicke) abgelöst, der eine ungleich
erdigere und bodenständige Darstellung des Holmes-Freundes und Chronikers
bot. Er war sozusagen der Watson aller Watsons - ein "geborener Watson",
wenn man das so ausdrücken möchte. Neben den Hauptfiguren findet der
aufmerksame Zuschauer auch solche einprägsamen Gesichter wie Rosalie Williams
(Mrs. Hudson) und Colin Jeavons (Inspektor Lestrade) vor. Rosalie Williams und
Jeremy Brett waren zuvor lange Zeit zusammen am Theater tätig. Sie bekunden
in verschiedenen Interviews eine große Sympathie füreinander; und tatsächlich
soll Mr. Brett es auch dazu gebracht haben, daß Mrs. Williams eine größere
Rolle erhielt als vorgesehen und schließlich in jeder Episode auftauchte.
Jeder, noch der kleinste Nebendarsteller, scheint wie geschaffen für seine
Rolle; dies ist ein außerordentlich glücklicher Umstand für die
Serie.
Star und Hauptdarsteller Jeremy Brett war schon lange kein unbeschriebenes Blatt
mehr, als die Produzenten von Granada TV ihn für die Hauptrolle auserwählten.
Am 3. November 1933 geboren, hatte er bereits in solch berühmten Filmen wie
"Krieg und Frieden" und "My Fair Lady" mitgewirkt, war am
Theater und hat sogar "Dracula" gespielt, natürlich den Grafen,
wie es ihm bei seiner aristokratischen Erscheinung gut zu Gesichte stand. Er hat
an der Seite Charlton Hestons in dem Bühnenstück "The Crucifer
of Blood" für dessen Holmes den Dr. Watson gemimt; einen sehr guten
und ungewöhnlichen obendrein, wie Mr. Heston in seinem Nachruf versichert.
1976 besetzte er die Rolle des Lord Henry Wotton in der BBC-Produktion "The
Picture of Dorian Gray" und 1978 Daphne du Mauriers unglücklichen Maxim
de Winter in der vierteiligen BBC-Produktion "Rebecca". (Übrigens
eine sehr sehenswerte Version: Zwar nicht so mitreißend inszeniert wie Alfred
Hitchcocks wohlbekannte Verfilmung, hält sie sich je-doch enger an die Romanvorlage
und überzeugt durch ihre Hauptdarsteller und die unverwechselbare Aura anspruchsvoller
britischer Produktionen. Zwischen den verschiedenen Holmes-Staffeln hat er den
Meisterdetektiv auch auf der Bühne gespielt, in dem Theaterstück "The
Secret of Sherlock Holmes", zusammen mit "seinem" Watson Edward
Hardwicke. Jeremy Brett scheint mit dieser Rolle geradezu verwachsen, und den
Aussagen ihm nahestehender Kollegen nach soll er sich in die Figur Holmes fast
bis zur Besessenheit hineingesteigert haben.
Um so interessanter ist, daß er eigenen Angaben nach die "Person Holmes"
gar nicht besonders mochte - einen "kalten Fisch" nannte er ihn. Er
selbst sei eher ein romantischer und heroischer Typus, sagte er, gewohnt, mit
viel Emotion (und manchmal auch Overacting) seine Rollen auszufüllen. Aufgrund
mangelnder Ähnlichkeiten zwischen ihm und der fiktiven Persönlichkeit
Holmes sei es ihm zunächst schwergefallen, sich in den Charakter hineinzuversetzen,
es blieb ihm also nichts anderes übrig, als - mit seinen eigenen Worten -
"... den eigenen Saft aus mir herauszupressen und den von Holmes aufzusaugen,
wie ein Schwamm". Jeremy Brett wird keine weiteren Fortsetzungen mehr drehen,
wenn er auch manche Episoden gern noch einmal neu gemacht hätte. Er starb
am 12. September 1995 nach langer Krankheit an Herzversagen.
Es ist ihm am Schluß schwer geworden, Holmes mit gewohnter Qualität
und derselben hinreißenden Affektiertheit zu spielen. Aufgequollen von Medikamenten,
sah er der schlanken Figur der literarischen Vorlage überhaupt nicht mehr
ähnlich. Er hat dafür viel Kritik einstecken müssen und wäre
wahrscheinlich nicht mehr in der Lage gewesen, die Rolle glaubhaft zu verkörpern,
wenn nicht ... sein Gesicht trotz allem immer noch das gleiche geblieben wäre,
so sehr "British and sophisticated", mit den gleichermaßen durchbohrenden
wie in sich gekehrten schwerlidrigen Augen, dem feinen Mienenspiel und den affektierten
Tics des jahrelangen Kokainisten. Bretts Holmes ist gutaussehend, arrogant, eitel
und überheblich. Er scheucht seine Vermieterin Mrs. Hudson nur so herum,
verspottet und gebraucht seinen treu ergebenen Dr. Watson als Faktotum und Laufburschen.
Kurz und gut, er ist, wie Doyle ihn sah; ein Augenschmaus für den Sherlockianer,
voller Sprungkraft, Schalk und Sarkasmus. Mr. Brett hat seinen eigenen Worten
nach stets versucht, der Rolle mehr Tiefgang zu verleihen, als ihr in all den
früheren Verfilmungen zugestanden wurde, war sich jedoch dessen bewußt,
daß dies vorsichtig zu geschehen hatte. Er sah in Holmes mehr als nur eine
Muschelschale, unter deren undurchschaubarer Oberfläche sich lediglich ein
gefühlloses Vakuum befindet: "... So hat Doyle ihn beschrieben: Unberührbar,
unverletzlich und rätselhaft. Ihm Emotionen zu verleihen, schwächt dieses
Bild. Er ist der Mann, den jeder andere beneidet."
Und weil dieses Bild zwar eine wunderbare Romanfigur bietet, aber im Film schwer
zu realisieren ist, wenn der Schauspieler daraus etwas Lebendiges, Atmendes und
Fühlendes macht, probierte Brett es auf seine eigene unnachahmliche Weise.
"... Ich versuchte etwas Blut in den weißen Marmor zu bringen, eine
Spur von Menschlichkeit. Ansonsten wäre er nur ein Eisberg. Ich glaube, dieser
Gedanke provoziert die Leute: 'Da steckt ja eine Person unter dieser weißen
Maske!' ... Genau das versuchte ich zu erreichen mit diesem merkwürdigen
Sprung im Marmor, so daß man dahinter ein kurzes Aufblitzen von Menschlichkeit
sehen kann."
Die fünf zweistündigen Fernsehfilme sind von den Schauspielern selbst
und ihren Fans mit gemischten Gefühlen betrachtet worden. Der erste von ihnen,
"The Hound of the Baskervilles" ("Der Hund von Baskerville",
1988), gilt in Jeremy Bretts Augen als der schlechteste von allen - wegen des
Hundes. Er sagt dazu selbst in einem Interview: "Wenn man den 'Hund von Baskerville'
verfilmt, die berühmteste Story von allen, muß man sehr bedachtsam
vorgehen. Wenn man den Hund nicht richtig hinbekommt, ist es besser, wenn er gar
nicht zu sehen ist. Wir haben ihn nicht richtig hinbekommen. Er war eine ausgestopfte
Dogge, die sie auf mich warfen." In der Tat ist der erste der Zweistünder
von einer recht konventionellen Machart und erinnert an die frühere Serie.
Holmes ist nur in wenigen Szenen anwesend. Dieser Film entbehrt noch jener unwirklich-traumhaften
Sequenzen, welche die anderen vier Filme auszeichnen und vor allem beim "Eligible
Bachelor" zu beinahe schon psychotischen Halluzinationen werden, denen der
zur Untätigkeit verurteilte Holmes erliegt.
Nr.
2 der Spielfilme, "The Sign of Four" ("Das Zeichen der Vier",
1989), war filmisch bereits auf einem deutlich höheren Level. Die literarische
Vorlage Doyles wurde kaum verändert, da die Story an sich genug Inhalt bot,
um einen 100minütigen Film damit zu füllen - bis auf die Tatsache, daß
Dr. Watson im Film nicht die schöne Klientin Miss Morstan heiratet. Sehr
amüsant hier jedoch wieder zu beobachten, wie Watson (köstlich tuttelig
gespielt von Edward Hardwicke) in Bewunderung vor der jungen Dame den Kavalier
mimt, während sich Holmes bei ihrem Anblick gleich noch kälter und abweisender
gibt als sonst. Jeremy Brett hielt diesen Film zusammen mit "The Master Blackmailer"
für den besten in der Reihe. In seinen eigenen Worten: "Ich habe damals
gerade angefangen, an das Zweistundenformat zu glauben. Ich erkannte den Vorteil:
Man muß sich nicht so kurz fassen. Es gibt einem die Chance, im viktorianischen
England zu schwelgen. Und das ist eine recht gute Sache. Ich halte 'The Sign of
Four' für sehr gut."
"The Master Blackmailer" ("König der Erpresser, 1989) als
drittes Glied in der Kette besticht besonders durch seine exquisite Ausstattung.
Den glamourös-widerwärtigen Gegenspieler Holmes', Charles Augustus Milverton,
spielte der hinlänglich bekannte Robert Hardy (das sympathische Ekel Siegfried
Farnon aus der Fernsehserie "Der Doktor und das liebe Vieh".) Eine Kleinigkeit
ist der Story hinzugefügt worden, die zu Recht zwiespältige Reaktionen
beim Publikum hervorrief: Holmes befaßt sich beim Inkognito-Investigieren
als Klempner in Milvertons Haus allzu nah mit dem jungen Dienstmädchen Aggie,
das sich sehr angetan von ihm zeigt. In diesen Szenen gibt Jeremy Brett dem sonst
so kühlen Sherlock eine sehr weiche Note, mehr als einen Anflug von Gefühl.
Das ist überhaupt nicht der Holmes, den wir von Doyle kennen. Es soll ihm
übrigens einige Schwierigkeiten bereitet haben, die Liebesszene im Garten
zu spielen - er als bereits älterer Mann zusammen mit dem jungen Mädchen!
Vielleicht ist die Tolpatschigkeit, die der sonst so überlegene Detektiv
dabei an den Tag legt, zum Teil auf Jeremys eigene Unsicherheit zurückzuführen?
Er hat sich nicht dazu geäußert.
Die nächste Produktion war "The Last Vampyre" ("Der letzte
Vampir") aus dem gleichen Jahr, 1989. Bei diesem Film scheiden sich wiederum
die Geister. Aus der literarischen Vorlage wurde das Beste herausgeholt, einiges
dazugedichtet und eine Figur eingeführt, die ursprünglich nicht vorhanden
war. Es mutet seltsam an, daß man gerade diese Geschichte als Vorlage für
einen zweistündigen Film auserwählt hat, bietet sie doch nicht sehr
viel Inhalt, wenngleich Szenerie und Aussage düster und gespenstisch sind
und gut zu dem düsteren Charakter Holmes passen. Ist doch der große
Detektiv nun wirklich kein jugendlicher Sunnyboy, der mit strahlendem Lächeln
und einem Witz auf den Lippen die schweren Fälle löst, sondern selbst
ein Außenseiter, von fragilem Charakter und drogenabhängig, was seine
periodisch auftretenden Depressionen erklärt. Erklärt es auch die Tatsache,
daß sein Darsteller Jeremy Brett, den Aussagen seiner Kollegen nach ebenfalls
unter immer wiederkehrenden Depressionen gelitten haben soll? "The last Vampyre"
ist sicherlich der düsterste Film aus der ganzen Reihe, obgleich im sonnenüberfluteten
Cotswold des Monats Mai gedreht, dessen einzige Kulisse darin bestanden haben
soll, daß man die Fernsehantennen von den Dächern abmontierte. Sherlock
Holmes begegnet in dieser Geschichte dem Tod ... Jeremy Brett erklärt uns
die Tatsache, warum der Film nicht (wie die Originalstory) "The Sussex Vampyre"
heißen konnte: "Sussex ist so überbevölkert, wir mußten
uns von den Leuten fernhalten. Aber der Cotswold-Stein hat eine charakteristische
Farbe, und ganz England hätte über uns gelacht, wenn wir den Film 'The
Sussex Vampyre' genannt hätten."
"The Eligible Bachelor" ("Der begehrte Junggeselle" war der
letzte aus der Reihe zweistündiger Fernsehfilme, die nach den Motiven Arthur
Conan Doyles gedreht wurden. Es ist ein sonderbarer Film: Voll von mysteriösen
Ahnungen, Träumen und Wahnvorstellungen. Wir sehen darin einen besessenen
Holmes, der - von Alpträumen getrieben - Serien von Kohlezeichnungen anfertigt,
die im Verlauf der Geschichte als Wahrheit vor seinen Augen aufspringen sollen.
Dieses Element des Unerklärlichen ist äußerst ungewöhnlich
für Holmes, und Jeremy Brett zeigte sich nicht sehr begeistert. Er als Verfechter
Doyle-authentischer Verfilmungen konnte solche Spintisiererei nicht gutheißen.
Dennoch hat der Film eine ganz eigene innere Spannung und beinahe traumwandlerische
Qualitäten mit Anflügen von Wahnsinn und einem sehr verletzlichen und
kränkelnden Holmes. Jeremy Brett erlitt während der Dreharbeiten mehrere
Schwächeanfälle und hätte den Film fast nicht fertigstellen können,
was sich - ob beabsichtigt oder nicht - in seiner fragileren Darstellung zeigte.
In den Augen der Rezensentin zeichnen sich alle fünf Filme gleichermaßen
durch eine wunderbare Ausstattung, profunde schauspielerische Leistungen und den
unschätzbaren Wert aus, daß es gelungen ist, ein dekadent-viktorianisches
Flair einzufangen, das in seiner "roter Plüsch und Gaslicht"-Traulichkeit
an die besten HAMMER-Filme erinnert. Die neblige Baker Street, das knisternde
Feuer im Kamin, Holmes mit der langen schlanken Tonpfeife in unmöglicher
Haltung in seinem Lieblingssessel lümmelnd, und dann ein Klopfen an der dunkel
gebeizten Tür, das den nächsten Klienten mit einem spannenden Fall ankündigt
- die Essenz jener altmodischen und doch unvergänglichen Geschichten, bei
deren Lektüre einigen Holmes-Freunden jetzt unverrückbar das unverwechselbare,
scharfe Adlerprofil Jeremy Bretts vor Augen stehen wird.
© M. Angerhuber (1997)
Quellen: Interviews und Nachrufe auf Jeremy Brett aus "Scarlet Street - The Magazine of Mystery" Nr. 7, 20, 21 und 22
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