|
Tales Of Terror & Technicolor:
Roger Cormans Poe-Verfilmungen
Edgar Allan Poes Geschichten und Gedichte bildeten seit 1908 die Vorlage
oder Inspiration für über 100 Film- und Fernsehproduktionen. Darunter
befinden sich halbwegs werkgetreue Verfilmungen ebenso wie freie Interpretationen
und Werke, die den Zuschauer rätseln lassen, inwiefern sie überhaupt
noch irgendwo von Poe beeinflußt sein mögen. Völlig unabhängig von der
Werktreue reicht die Qualitätsskala dabei vom künstlerischen Meisterwerk
über unterhaltsamen Trash bis hin zum filmischen Desaster. Wohl am berühmtesten
und inzwischen längst als zeitlose Genre-Klassiker anerkannt sind die
von 1960 bis 1965 entstandenen, farbenprächtigen Poe-Adaptionen des
amerikanischen Regisseurs Roger Corman, die hier etwas näher beleuchtet
werden sollen.
 Roger
William Corman wurde am 5. April 1926 in Detroit geboren. Nach einem
Ingenieursstudium sammelte er - anfangs als Laufbursche, später als
Lektor - bei der 20th Century Fox erste Erfahrungen im Filmgeschäft.
Schließlich zog es ihn nach Europa: In Oxord studierte er englische
Literatur, im Anschluß siedelte er nach Paris über und hielt sich dort
mit dem Schreiben von Kurzgeschichten über Wasser, die er an amerikanische
Magazine verkaufte. Nach seiner Rückkehr in die USA stieg er als Drehbuchautor
und unabhängiger Produzent wieder ins Filmgeschäft ein und schloß sich
schließlich den Produzenten Samuel Arkoff und James Nicholson an, die
1954 American International Pictures (AIP) gründeten, jene Produktionsfirma,
für die er fortan zwei Jahrzehnte lang tätig sein sollte. AIP spezialisierten
sich auf billige B-Pictures, Filme, die mit minimalstem Aufwand in wenigen
Tagen gedreht wurden und das typische Programm der amerikanischen Drive
In-Kinos darstellten. Sein Regiedebüt machte Corman 1955 mit dem Western
Five Guns West, seinen ersten phantastischen Film legte er 1956
mit It Conquered The World vor, einer Science Fiction-Story,
die die Invasionsängste des Kalten Krieges originell umsetzte und mit
einem bizarren, karottenartigen Alien-Monster aufwartete. Im gleichen
Jahr drehte er auch The Day The World Ended, eine (trotz der
Präsenz eines trashigen Monsters) beklemmende Endzeitvision, die
das US-Publikum mit einem postatomaren Szenario konfrontierte. Es folgten
zahlreiche weitere Filme: Science Fiction, Fantasy, Gangsterfilme, aber
auch der damals angesagte Teenager-Trash (so z. B. 1958 Teenage Caveman)
und natürlich Horror (z. B. 1959 der in der Beatnik-Szene angesiedelte
A Bucket Of Blood und 1960 der später zum Kultfilm avancierte
Little Shop Of Horrors). Cormans Filme spielten die geringen
Produktionskosten meist um ein Vielfaches wieder ein und vergleicht
man sie heute mit anderen Billigproduktionen dieser Ära, so heben sie
sich in puncto Originalität und Qualität oft deutlich von
der Masse ab. Doch der Regisseur hatte andere Ambitionen, wollte sich
und seine Filme weiterentwickeln und der Schlüssel dazu fand sich in
einer Geschichte Edgar Allan Poes.
"Ich hatte ursprünglich einfach nur den Wunsch, The Fall Of The House
Of Usher zu verfilmen", erzählte Corman 1980 in einem Interview.
"Seit meiner Schulzeit war ich großer Verehrer Poes und schon immer
wollte ich gerade diesen Film machen. Ich hatte für AIP eine Serie von
Low Budget-Produktionen gedreht, alles Schwarzweißfilme, die in einem
Zeitrahmen von 10 Tagen und mit einem Budget von 100.000 $ oder weniger
hergestellt wurden. Es war die damalige Geschäftspolitik, zwei von diesen
Filmen zusammen als eine Doppelvorstellung herauszubringen … Sie wollten,
daß ich damit weitermache, doch ich hatte das Gefühl, daß wir uns allmählich
zu oft wiederholten. Also schlug ich statt dessen vor, anstatt zwei
Schwarzweißfilme für je 100.000 $ in 10 Tagen, einen Farbfilm für 200.000
$ in 15 Tagen zu machen. Sie waren einverstanden und so wurde House
Of Usher gedreht." Doch ganz so einfach war es nicht, die AIP
für das Vorhaben zu gewinnen. Besonders Samuel Arkoff stand dem Projekt
skeptisch gegenüber, zumal sich in Poes Story kein Monster findet und
monsterlose Horrorfilme in den USA als extremes finanzielles Risiko
galten. "Das Haus ist das Monster", argumentierte Corman, verwies
auf Roderick Ushers Textzeile "the house lives, the house breathes"
und schließlich gelang es ihm (nicht zuletzt, weil er bislang keinen
einzigen Flop fabriziert hatte) doch, die Produzenten zu überzeugen.
Für das Drehbuch wurde der Schriftsteller Richard Matheson engagiert.
Von Matheson, der oft als Drehbuchautor arbeitete, stammen u. a. die
Romanvorlagen und Skripts zu den Filmen The Incredible Shrinking
Man, Last Man On Earth (basierend auf dem Roman I am Legend)
und The Legend Of Hell House. Großen Erfolg hatte der Autor
auch mit den Szenarien, die er für Rod Serlings legendärer
TV-Serie The Twilight Zone entwarf.
Die erste Wahl für die (Haupt-)Rolle des Roderick Usher war Vincent
Price (1911-1992). Price, dessen Schauspielerkarriere 1935 auf der Theaterbühne
begann, kam 1938 durch einen Kontrakt mit den Universalstudios ins Filmgeschäft
und hatte sich seitdem sowohl im Mainstream- wie auch im Genrekino einen
Namen als talentierter und vielseitiger Schauspieler gemacht, wobei
die "Schurkenrollen" immer zu seinen Lieblingsparts gehörten.
Seine Filmographie umfaßte bislang u. a. Klassiker wie The
Invisible Man Returns (1938), Laura (1944), Dragonwyck
(1946), House Of Wax (1953) und The Mad Magician (1954).
In der Regie des genialen B-Picture-Schöpfers William Castle spielte
er die Haptrollen in den Trashperlen House On Haunted Hill (1958)
und The Tingler (1959). Der Poe-Liebhaber Price war von Richard
Mathesons Drehbuch sehr angetan und hatte auch vollstes Zutrauen in
Cormans Fähigkeiten als Regisseur. So akzeptierte er das Angebot sofort
- noch lange nicht ahnend, daß er in fast allen von Cormans Poe-Adaptionen
die Hauptrolle spielen sollte und noch Jahre später viele Filmfans seinen
Namen automatisch mit diesen Filmen in Verbindung bringen würden. Am
13. Januar 1960 begannen schließlich die Dreharbeiten zu The Fall
Of The House Of Usher - dem Auftakt zu einem Zyklus von insgesamt
acht Filmen …
1960:
The Fall Of The House Of Usher (Die Verfluchten)
Die
Anfangsszene präsentiert einen einsamen Reiter in einem nebelverhangenen
Ödland, in dem die Vegetation nur aus vereinzelten, abgestorbenen Bäumen
und Sträuchern besteht. Es handelt sich um den jungen Philip Winthrop,
der auf dem Weg zum Stammsitz der Ushers ist, um dort um die Hand Madelines
anzuhalten, die er Monate zuvor in Boston kennenlernte. Doch das an
einem fauligen Sumpf gelegene Haus Usher erweist sich als ebenso abweisend
und marode wie das tote Umland. Madeline ist schwach und krank, und
ihr Bruder Roderick - ein seltsamer, übersensitiver Zeitgenosse - versucht
Winthrop sofort wieder zur Abreise zu bewegen. Er schildert die Ushers
als eine von Dekadenz und Wahnsinn gezeichnete Familie; mitsamt dem
Haus sei all das Böse, das die Ushers seit Generationen prägt, von England
in die Neue Welt herübergebracht worden. Wenn seine Schwester Madeline
nun heiraten und Kinder bekommen würde, würde sich dieses Übel weiter
fortpflanzen, anstatt endlich auszusterben. Um Winthrop endlich loszuwerden,
greift Usher zu einer List und nutzt Madelines angeborenen Hang zur
Katalepsie aus: Als sie nach einem Anfall scheinbar tot aufgefunden
wird, läßt er sie in der Familiengruft bestatten. Doch in der Nacht
kann Madeline sich befreien und nimmt, inzwischen wahnsinnig geworden,
Rache an ihrem Bruder …
Natürlich ist The Fall Of The House Of Usher keine akribisch
nacherzählende Literaturverfilmung, natürlich wird die Handlung als
Zugeständnis an den Publikumsgeschmack mit einer unglücklichen Liebesgeschichte
(zwischen Winthrop und Madeline) versehen; dennoch gelang es Corman
und Drehbuchautor Matheson, die Essenz von Poe in diesem Film einzufangen:
So findet sich die Degeneration der Ushers hier ebenso wie in der Geschichte
in dem verfallenden Haus und dem toten Umland symbolisiert. Das Übel,
die sprichwörtliche Krankheit, wird auf das marode Gemäuer projiziert,
hat seine Wurzeln jedoch (ein immer wiederkehrendes Thema bei Poe) in
den verborgenen Seiten der Psyche der Protagonisten, in diesem Fall
Roderick Ushers, der von Vincent Price überzeugend verkörpert wurde.
Price, der durchaus auch zum gewollten Overacting neigte und ein großes
komödiantisches Talent besaß, spielt den Antihelden Usher mit einer
effektiven Zurückhaltung und frei von Ironie. Seine Bewegungen sind
langsam, die ganze Gestalt wirkt Haltung und Gebahren fragil und verletzlich,
und das schlohweiß gefärbte Haar, das eine Form von Albinismus suggerieren
sollte (übrigens eine Idee von Vincent Price), verstärkt diesen Eindruck
noch. In bester Poe-Tradition leidet Price-Usher in erster Linie an
sich selbst: Er ist ein Gesamtkunstwerk aus Neurosen und psychosomatischen
Beschwerden, und in all seiner Verzweiflung und der hingebungsvollen,
über das geschwisterliche Verhältnis offensichtlich hinausgehenden,
Liebe zu Madeline eine überaus tragische Figur. An krankhaften Überempfindlichkeiten
gegen Geräusche, Farben und Gerüche leidend, hat er sich seit langem
endgültig aus der realen Welt zurückgezogen und ist selbst nicht fähig,
gegen die ihn quälenden Obsessionen - die Gewißheit um die Vorbestimmtheit
des Familienschicksals und die daraus resultierenden Ängste - anzukämpfen.
 Roger
Corman hatte bei The Fall Of The House Of Usher erstmals die
Möglichkeit, in Farbe und Cinemascope zu drehen, und nutzte diese Mittel
für eine expressionistisch-psychedelische Bildsprache. Farben dienen
hier nicht der naturalistischen Darstellung, sondern fungieren als symbolistische
Stilmittel; eine gewollte Künstlichkeit durchzieht den ganzen Film und
erschafft eine, der literarischen Vorlage angemessene, irreal-alptraumhafte
Atmosphäre: Dem Vorspann - leuchtend bunten Nebelschwaden, die hinter
den Credits ineinanderfließen - folgt die Anfangssequenz in dem toten
Wald; hier dominiert ein blasses Grau, alles wirkt verödet, abgestorben.
Corman nutzte für diese Szene die Gelegenheit, daß tags zuvor ein Brand
in den Hollywood Hills gewütet hatte, und kombinierte hier Studioaufnahmen
mit Bildern des realen verbrannten Waldstücks. Das Geschehen im Haus
Usher schließlich gestaltet sich als verschwenderisch koloriertes, morbides
Kammerspiel. Als Roderick von seinen Vorfahren erzählt, präsentiert
er seinem Gast deren Portraits, die karikaturhafte Fratzen in kränkelnden
Farben zeigen, und dem Betrachter ist in diesem Moment klar, daß die
Ushers sich nicht unbedingt durch höchste geistige Gesundheit auszeichnen
(diese Gemälde wurden von dem Künstler Burton Shonberg speziell für
diesen Film angefertigt). Später folgt eine grandiose Alptraumsequenz,
in der Winthrop der gesamten Ushersippe begegnet: Durch einen grellblauen
Nebel steigt er in die Gruft hinab und findet sich dort den fleischgewordenen
Portraits gegenüber wieder. Die meisten der Stilmittel, die Corman hier
kreierte, sollten sich auch in seinen folgenden Poe-Verfilmungen wiederfinden.
The Fall Of The House Of Usher wurde am 22. Juni 1960 uraufgeführt
und Cormans Ideen machten sich bezahlt; der Film spielte sein Budget
um ein Vielfaches wieder ein und bekam dazu auch noch exzellente Kritiken.
Bei diesem Erfolg war es naheliegend, daß der nächste Poe-Film nicht
lange auf sich warten lassen würde …
1961:
The Pit And The Pendulum (Grube und Pendel)
Spanien
in der Mitte des 16. Jahrhunderts: Der Engländer Francis Barnard besucht
seinen Schwager Don Nicholas Medina, um die genauen Umstände des Todes
seiner Schwester Elizabeth zu erfahren. Medina wirkt seltsam verängstigt
und schuldbewußt. Er sucht nach Ausflüchten für Elizabeth Tod und schließlich
stellt sich heraus, daß sie eines Tages tot in der Folterkammer des
Schlosses aufgefunden wurde - offensichtlich starb sie vor Angst. Es
stellt sich heraus, daß Medina an einem Kindheitstrauma leidet, denn
als kleiner Junge wurde er Zeuge des Todes seiner Mutter: Sein Vater
- der berüchtigte Inquisitor Sebastian Medina - rächte sich in der Folterkammer
grausam für ihre Untreue, indem er erst ihren Liebhaber erschlug und
die Unglückliche anschließend lebendig einmauerte. Im weiteren Verlauf
kommt es zu seltsamen Vorfällen im Schloß: Elizabeths Zimmer wird verwüstet,
ihr Portrait wird zerstört, nachts erklingt ihr Cembalo … Schließlich
wird ihr Grab geöffnet und anhand der gequälten Stellung der verwesten
Leiche wird klar, daß sie lebendig begraben wurde. In der Nacht hört
Medina, inzwischen halb verrückt vor Angst, ihre Stimme, die ihn in
die Gruft hinab lockt. Als er sich schließlich seiner totgeglaubten
Frau gegenüber sieht, gewinnt der Wahnsinn endgültig die Oberhand über
ihn. Er schlüpft in die Rolle seines Vaters und die Folterinstrumente
des toten Inquisitors kommen zum Einsatz …
Die
Handlung in The Pit And The Pendulum hat herzlich wenig mit der
literarischen Vorlage gemein, dennoch gelang es Corman und seiner Crew,
in diesen Film eine Vielzahl für Poe typischer Elemente einfließen zu
lassen: Wieder einmal ist der Antiheld von seinen eigenen Ängsten und
Erinnerungen gepeinigt, wieder einmal steckt das offenkundig erbliche
Familienübel im Gemäuer (in diesem Fall in Sebastian Medinas Folterkammer),
dazu gesellen sich die Angst vor dem Lebendigbegrabensein und poesche
Rachethematik: Nicholas Medina ist Opfer eines Komplotts zwischen seiner
Frau und seinem besten Freund, und als der gehörnte Ehemann durch deren
Spukinszenierungen schließlich in den Irrsinn getrieben wird, flüchtet
er sich in die Person seines blutrünstigen Vaters und nimmt in dessen
Alter Ego grausame Rache. Vincent Price spielt diese (Doppel-)Rolle
mit offensichtlichem Vergnügen; in seinen Panik- und Verzweiflungsausbrüchen
sprudelt er geradezu über und schießt oftmals über die Grenzen einer
ernsthaften Darstellung hinaus. Seine untreue Gattin wurde übrigens
von der britischen Schauspielerin Barbara Steele verkörpert, die ein
Jahr zuvor durch die Hauptrolle in Mario Bavas Klassiker La Maschera
del Demonio in Europa zu Popularität gelangt war und im Verlauf
der 60er Jahre zu einer Ikone des italienischen Horrorfilms werden sollte.
 In
seinem zweiten Poe-Film setzte Roger Corman die bewährten Usher-Stilmittel
konsequent fort. Einem psychedelisch bunten Vorspann folgt in der Eingangssequenz
der Blick auf das Schloß Medinas, das sich düster und bedrohlich auf
einer desolaten Klippe über dem Meer erhebt - die optimale Bühne für
das hier erzählte Schauermelodram. An die Stelle von Alptraumsequenzen
treten hier gespenstisch blau-violett getönte Rückblenden, die vom (scheinbaren)
Tod Elizabeths und den Untaten Sebastian Medinas erzählen. Das poesche
Folterszenario wurde der Vorlage entsprechend, mit viel Liebe zum Detail,
perfekt nachgebaut und das schwingende, infernalisch quietschende Pendel,
dessen Wirkung sich vor allem auf der Kinoleinwand und im Cinemascopeformat
voll entfaltet, bietet auch unter heutigen Gesichtspunkten noch einen
äußerst beeindruckenden Anblick. Die Pendelgeräusche entstanden übrigens
aus insgesamt 16 verschiedenen Geräuschquellen: Windmühlen, Wasserräder,
Zugbrücken, Raddampfer, Eisenbahnschienen etc. wurden in mühsamer Kleinarbeit
verfremdet, mit Effekten versehen und letztendlich zu einem Klang zusammengeschnitten.
The Pit And The Pendulum wirkt (nicht zuletzt aufgrund Prices
exaltierter Darstellung) weniger düster als sein Vorgänger und erscheint
stellenweise fast wie eine Mixtur aus Grand Guignol-Theater und surrealem
Comicstrip, was der Qualität und vor allem dem Unterhaltungswert des
Films jedoch keinesfalls abträglich ist.
1962:
The Premature Burial (Lebendig begraben)

Der
wohlhabende Guy Carrell hat panische Angst vor der angeblich erblichen
Katalepsie in seiner Familie und fürchtet, lebendig begraben zu werden.
Auch die Ehe mit Emily bringt ihm keine Besserung. Um den Schrecken
des Scheintods vorzubeugen läßt er sich eine Gruft mit diversen Sicherheitsmechanismen
bauen, mit deren Hilfe er sich - im Falle eines verfrühten Begräbnisses
- aus dem Grab befreien kann. Immer mehr steigert er sich in seine Phobie
und das Verhältnis zu seiner Frau verschlechtert sich zusehends. Schließlich
droht Emily ihm, ihn zu verlassen, wenn er die Gruft nicht zerstört
und zu einem normalen Leben zurückkehrt. Carrell fügt sich ihrem Wunsch,
doch kurz darauf wird sein Alptraum Wirklichkeit: Durch einen Schock
erleidet er einen kataleptischen Anfall, wird von den Ärzten für tot
erklärt und lebendig begraben …
The
Premature Burial nimmt in Cormans Poe-Zyklus eine Sonderstellung
ein: Als einziger Film dieser Reihe wurde er ohne Vincent Price gedreht,
da dieser aus vertragsrechtlichen Gründen an einer Mitwirkung verhindert
war. Stattdessen wurde die Hauptrolle mit Ray Milland besetzt, der u.
a. auch schon in der Regie Alfred Hitchcocks (in Dial M For Murder)
vor der Kamera gestanden hatte. Milland wirkt auf den ersten Blick weniger
charismatisch als Price. Sein Spiel ist ruhiger, introvertierter, doch
gerade dadurch verleiht er der Figur des neurotischen Guy Carrell eine
psychologische Tiefe und Glaubwürdigkeit, die sehr zum Gelingen des
Films beiträgt. Poes Erzählung läßt sich hier eigentlich nur noch als
Inspiration erahnen; nicht verwunderlich, denn diese Geschichte würde
kaum einen 80minütigen Spielfilm ausfüllen können. Für das Drehbuch
zeichnete der Horrorautor Charles Beaumont verantwortlich, der übrigens
- ebenso wie Richard Matheson - einer der erfolgreichsten Twilight
Zone-Autoren war. Beaumont variierte in seinem Skipt u. a. Elemente
des im Vorjahr entstandenen The Pit And The Pendulum: Die scheinbar
treusorgende Ehefrau Emily (dargestellt von der Britin Hazel Court,
die u. a. in den Hammerproduktionen The Curse Of Frankenstein
und The Man Who Could Cheat Death mitgewirkt hatte) ist in Wirklichkeit
der Launen ihres dauerdeprimierten Gatten überdrüssig und findet weitaus
mehr Gefallen an dessen bestem Freund. So beschließt sie, Carrells Phobie
zu nutzen, um ihn loszuwerden und an sein Vermögen zu kommen. Natürlich
geht dieser Plan schief und diverse Mitwirkende fallen Guy Carrells
Rache-Amoklauf zum Opfer, nachdem der scheinbar Tote von Leichenräubern
wieder ausgegraben wird.
Im Vergleich zu seinem Vorgänger wirkt der von einer alles durchdringenden
klaustrophobischen Stimmung durchzogene The Premature Burial
weitaus finsterer, beklemmender und entbehrt der üblichen Komikelemente.
Millands Darstellung des (natürlich wieder einmal an sich selbst) leidenden
Protagonisten ist durchweg überzeugend und Roger Corman gelang mit diesem
Film ein weiteres schön inszeniertes, zeitloses Stück Alptraumkino.
1962:
Tales Of Terror (Der grauenvolle Mr. X / Schwarze Geschichten)
Der
Film teilt sich in die folgenden drei Episoden auf:
Morella
Die junge Lenora kehrt nach Jahren todkrank ins Haus ihres Vaters zurück,
der sie einst verstieß, weil seine geliebte Frau Morella bei ihrer Geburt
starb. Als seine Tochter ihm von ihrem Zustand erzählt, versöhnt er
sich mit ihr, doch schon wenig später stirbt sie. Morellas Geist fährt
in Lenoras Leiche und sucht ihren Gatten heim …
The Black Cat
Der Säufer Montresor Herringbone gerät, nachdem er aus seiner Stammkneipe
geworfen wurde, durch Zufall in eine noble Runde von Weinhändlern. Dort
fordert er den berühmten Weinkenner Fortunato zu einem Wettstreit heraus,
doch schließlich wird der bereits stark angeschlagene Montresor von
seinem eigenen Rausch besiegt. Fortunato hilft dem Betrunkenen heim
und lernt dort dessen junge Frau Annabel kennen. Die sanftmütige Annabel,
die - ebenso wie ihr geliebter schwarzer Kater - unter den Ausbrüchen
ihres Gatten zu leiden hat, verliebt sich in den weltgewandten Fortunato
und prompt nimmt das Schicksal seinen Lauf. Als Montresor schließlich
dahinter kommt, daß seine Frau ihn mit Fortunato betrügt, ermordet er
beide und mauert die Leichen in seinem Keller ein - dummerweise zusammen
mit Annabels schwarzem Kater …
The Case Of M. Valdemar
Mr. Valdemar ist todkrank und unterzieht sich zwecks Schmerzlinderung
regelmäßig der Behandlung des Hypnotiseurs Carmichael. Auch im Augenblick
seines baldigen Ablebens soll Carmichael ihn hypnotisieren und ihm so
einen sanften Tod ermöglichen - sehr zum Verdruß von seiner Frau Helen
und dem Hausarzt Dr. James, die dem Hypnotiseur zu Recht mißtrauen.
Als es schließlich soweit ist, versetzt dieser Valdemar in Trance. Der
Patient ist schließlich klinisch tot, aber dennoch hält die Hypnose
an und Valdemar vegetiert fortan in einer obskuren Grauzone zwischen
Dies- und Jenseits vor sich hin. Carmichael will Helen zwingen, ihn
zu heiraten, doch schließlich kann Valdemar sich aus der Trance befreien
und nimmt als im Zeitraffer verfaulende Leiche Rache an Carmichael …
Die
Idee, einen Horrorfilm mit Episodenaufbau zu drehen, war an für sich
nichts Neues, so hatte z. B. in Deutschland Richard Oswald bereits 1919
in Unheimliche Geschichten drei phantastische Erzählungen (u.
a. auch Poes The Black Cat) verfilmt. Zu seiner vollen Blüte
gelangte der Horror-Episodenfilm allerdings erst ab Mitte der 60er Jahre
in England mit den legendären Amicus-Produktionen Dr. Terror's
House Of Horrors und Torture Garden. Das damalige US-Publikum
fühlte sich durch dieses Kurzgeschichten-Trio wohl eher an seine vertrauten
Fernsehserien erinnert und Tales Of Terror erzielte - trotz guter
Kritiken - etwas weniger gute Kassenerfolge als seine Vorgänger.
Die einleitende Episode Morella wirkt wie die Miniaturausgabe
eines typischen Cormanfilms und läßt alle Elemente Revue passieren:
Vincent Price als zerrütteter Hausherr, der seiner großen Liebe nachtrauert
und letztendlich von ihr heimgesucht wird, ein in Spinnweben und Staub
gehülltes altes Herrenhaus inklusive Gruft und im Finale das obligatorische
furiose Feuer, das Protagonisten samt Gemäuer verzehrt. In völlig andere
Gefilde führt jedoch The Black Cat: Drehbuchautor Richard Matheson
wandelte Poes Erzählung für diese Episode in eine rabenschwarze Komödie
um und benannte die Hauptfiguren kurzerhand nach den Protagonisten in
The Cask Of Amontillado Fortunato und Montresor. Was in der Theorie
absurd klingt, funktionierte in der filmischen Umsetzung vortrefflich.
Vincent Price hatte hier als blasierter Weinexperte Fortunato (übrigens
wurde er für diese Rolle
von einem Mitarbeiter des britischen Weinhauses Harvey & Sons in der
Kunst des richtigen Weinkostens unterrichtet) Gelegenheit, sein großes
komödiantisches Talent ungebremst einzubringen. Ihm zur Seite steht
ebenbürtig der großartige Peter Lorre in der Rolle Montresors. Lorre,
der 1930 in Fritz Langs M - Eine Stadt sucht einen Mörder in
der Rolle eines psychopathischen Kindermörders zu Weltruhm gelangt war,
verließ Deutschland nach der Nazi-Machtergreifung und begann in den
USA eine zweite Karriere, die 1935 mit der Hauptrolle in Mad Love
begann, Karl Freunds genialem Remake des Robert Wiene-Klassikers
Orlacs Hände. Daß Lorre nicht nur ein brillanter Charakterdarsteller
war, sondern auch über ein beachtliches komödiantisches Talent
verfügte, führt The Black Cat deutlich vor Augen. Dank
der beiden Hauptdarsteller, die sich hervorragend ergänzen, gelang hier
ein kleines Meisterwerk grotesk-makabren Humors, das wahrscheinlich
auch Poe gefallen hätte. Der Ausklang des Films, The Case Of M. Valdemar,
führt wieder zurück in reine Horrorgefilde: Die Geschichte des verbrecherischen
Hypnotiseurs Carmichael, der den sterbenden Valdemar in einem grauenvollen
Schwebezustand
zwischen Leben und Tod hält, ist - trotz der offenbar unumgänglichen
Abänderungen - eine sehr effektive Adaption der literarischen Vorlage
und kann einige wirklich unheimliche Momente aufweisen, so z. B. wenn
der mit seinem Geist im Jenseits befindliche Valdemar sich das erste
Mal zu Wort meldet. Ursprünglich drehte Corman auch noch eine ca. 5minütige
Szene, die Valdemar im Hades zeigt, ließ diese jedoch im Nachhinein
entfernen, weil er mit ihrer Wirkung unzufrieden war. Auch die Besetzung
läßt keinen Wunsch offen: Agierte Price sich noch in der vorangegangenen
Episode angemessen extrovertiert, so setzt er hier auf leisere Töne
und ein effektives Understatement. Sein Gegenspieler Carmichael wurde
von Basil Rathbone verkörpert (der u. a. in den klassischen Sherlock
Holmes-Verfilmungen der Universal Studios berühmt geworden war),
der für diese Rolle extra von einem Experten des American Hypnosis Institute
vorbereitet wurde. Im Finale kann Valdemar sich vom Willen Carmichaels
befreien und erhebt sich als verfaulender Leichnam, eine heute harmlos
anmutende Szene, die damals allerdings wohl einige Gänsehäute verursacht
haben dürfte.
1963:
The Raven (Der Rabe - Duell der Zauberer)
Der
Magier Erasmus Craven hat sich in den Ruhestand zurückgezogen und trauert
um seine scheinbar tote Frau Lenore. Eines nachts flattert ein Rabe
in sein Haus, der zu sprechen beginnt und sich als Dr. Adolphus Bedlo,
ebenfalls Magier, vorstellt. Das obskure Federtier erzählt Craven, daß
der finstere Zauberer Scarabus ihn in einen Raben verwandelt hat und
berichtet von Lenore, die in Wirklichkeit noch lebt und auf dessen Schloß
gefangengehalten wird. Craven verwandelt Bedlo in seine menschliche
Form zurück und macht sich gemeinsam mit seiner Tochter Olive, Bedlo
und dessen Sohn Rexford zu Scarabus auf. Doch alles ist nur ein teuflischer
Plan des Zauberers, um Craven in seine Gewalt zu bekommen und noch mehr
Macht zu erlangen …
Einerseits
hatte Corman noch The Black Cat in allerbester Erinnerung, andererseits
wuchs in ihm die Befürchtung, daß der AIP-Poe-Zyklus allmählich Gefahr
lief, nur noch auf die bewährten Elemente zu setzen und sich letztendlich
permanent selbst zu zitieren. Um dem vorzubeugen, wurde The Raven
von vornherein als eine schwarze Komödie in Spielfilmlänge inszeniert.
Einige Elemente aus Poes gleichnamigem Gedicht bilden die Grundlage
für eine Nummernrevue grotesker Situationskomik, die mit den Corman-typischen
Stilmitteln sehr ansehnlich inszeniert wurde und auch noch einige hübsche
Spezialeffekte in dem finalen Zaubererduell aufweisen kann. Dennoch
fällt der Film im Vergleich zu The Black Cat ein wenig ab: Die
hier erzählte Story ist eine weitaus harmlosere und so wirken auch die
humoristischen Einlagen klamaukhafter und weniger bösartig. Daß diese
Komödie dennoch gut funktioniert, ist in erster Linie der hervorragenden
Besetzung zu verdanken: Neben Vincent Price in der Rolle Erasmus Cravens
ist erneut Peter Lorre - als opportunistischer Scharlatan Dr. Bedlo
- mit von der Partie, der mit seinem Improvisationstalent wohl einige
der besten Zeilen zum Film beisteuerte. Der damals bereits 76jährige
Boris Karloff (der während der Dreharbeiten permamanent daran verzweifelte,
daß Lorre sich nie an die im Drehbuch vorgegebenen Dialoge hielt) übernahm
den Part des sinistren Scarabus, Hazel Court den der untreuen Lenore
und der junge Jack Nicholson ist hier als leicht vertrottelter Sohn
Bedlos in einer seiner ersten größeren Rollen zu sehen.
"Edgar
Allan Poe might turn over in his grave at this nonsensical adaption
of his immortal poem", schrieb ein Kritiker der Variety nach der
Uraufführung. Beim Publikum kam dieser Nonsens jedoch sehr gut an und
das rettete gewiß die nächste Produktion, denn mit einem Budget von
350.000 $ war The Raven der bislang teuerste Film in der Poe-Reihe der
AIP.
Aufgrund der hohen Kosten entschied Corman sich übrigens, einen weiteren
Horrorfilm in den gleichen Kulissen zu filmen und in der Endphase der
Dreharbeiten zu The Raven begann er mit der Arbeit an The
Terror (Schloß des Schreckens). Boris Karloff wurde auch für dieses
Projekt engagiert - allerdings nur für zwei Tage, an denen Corman alle
Szenen mit ihm sowie die meisten der Studioaufnahmen filmte. Der Rest
des Films wurde Stück für Stück von insgesamt vier verschiedenen Regisseuren
(Monte Hellman, Jack Hill, Jack Nicholson und der damals noch unbekannte
Francis Ford Coppola) fertiggestellt. Das daraus entstandene trashige
Flickwerk hat nichts mit dem Poe-Zyklus zu tun und ist auch nicht unbedingt
ein Highlight in Cormans Laufbahn.
1963:
The Haunted Palace (Die Folterkammer des Hexenjägers)
Im
17. Jahrhundert stürmen aufgebrachte Bürger des Städtchens Arkham das
Schloß des Hexers Joseph Curwen. Sie verbrennen ihn auf dem Scheiterhaufen,
was diesen veranlaßt, sie und all ihre Nachkommen zu verfluchen. 110
Jahre nach diesem Vorfall kommt Curwens Nachfahr Charles Dexter Ward
samt Gattin Ann nach Arkham, um den alten Familiensitz zu beziehen.
Die Arkhamer, die seit Curwens Fluch vom Pech verfolgt sind und zahlreiche
mißgebildete Kinder aufweisen, begegnen dem Neuankömmling mit Mißtrauen
und Ablehnung, doch er beschließt dennoch zu bleiben. Es dauert nicht
lang und Ward wird von Curwens Geist besessen, der ihn mißbraucht, um
Rache zu nehmen …
Streng betrachtet gehört The Haunted Palace eigentlich nicht
hierher, denn bis auf den Titel und einige im Vorspann eingeblendete
Zeilen aus dem gleichnamigem Gedicht hat dieser Film nichts mit Poe
zu tun, sondern adaptiert H. P. Lovecrafts Story The Case Of Charles
Dexter Ward. Roger Corman war mittlerweile überzeugt davon, daß
dem Poe-Zyklus eine Pause gut tun würde, doch die Produzenten bestanden
auf
einer Fortsetzung, und so einigte man sich als Kompromiß auf Lovecraft.
"Poe ist für mich interessanter und ein weitaus komplexerer Autor,
aber auch Lovecraft ist auf diesem Gebiet sehr gut und so entschieden
wir uns für eine Lovecraft-Verfilmung", so Corman. Doch die AIP
wollte den kommerziellen Erfolg der Poe-Filme mit allen Mitteln weiter
ausreizen. "Das Drehbuch war schon geschrieben und es war Lovecraft.
Dem Film einen Poe-Titel zu verpassen, war einfach irreführend und ich
fühlte mich nicht gerade wohl dabei." Sieht man von diesem offensichtlichen
Etikettenschwindel ab, ist The Haunted Palace ein überaus gelungener
Film und sicherlich eine von Roger Cormans besten Arbeiten. Das nebelumflutete
Arkham und Curwens Schloß sind sehr atmosphärisch in Szene gesetzt und
Vincent Price beeindruckt mit seiner überzeugenden Darstellung des,
zwischen seinem eigenen Ego und der finsteren Persönlichkeit des Hexers
Curwen hin- und hergerissenen, Charles Dexter Ward. Ihm zur Seite stehen
u. a. Debra Paget (die auch schon in Tales Of Terror mitgewirkt
hatte) als Ann Ward und der - zu dieser Zeit schon schwer von Krankheit
und Alkohol gezeichnete - Lon Chaney jr.
1964:
Masque Of The Red Death (Satanas, das Schloß der blutigen Bestie)
Die
Anfangsszene führt in einen nächtlichen, toten Wald. Eine alte Frau
begegnet beim Holzsammeln einem seltsamen, rot vermummten Fremden, der
ihr eine Rose schenkt. Diese Rose soll sie in ihr Dorf bringen, denn
sie wird den Menschen die Befreiung aus der Knechtschaft bringen. Tatsächlich
bringt diese Blume die Pest … Wir befinden uns im mittelalterlichen
Italien: Prinz Prospero, ein Teufelsanbeter und gnadenloser Nihilist,
herrscht unbarmherzig über sein Volk und beutet die arme Bevölkerung
bis über die Grenzen des Erträglichen aus. Als er in ein Dorf einreitet
um Abgaben zu kassieren, nimmt er gegen ihren Willen die junge Francesca
mitsamt ihrem Verlobten und Vater mit sich. Prosperos Geliebte Juliana,
die in einem Ritual ebenfalls ihre Seele dem Satan verschreibt, ist
von Francescas Anwesenheit alles andere als angetan und will den Gefangenen
schließlich zur Flucht verhelfen, um den Prinzen weiterhin für sich
allein zu haben. Als die Pest das ganze Umland heimsucht, riegelt Prospero
sein Schloß ab und veranstaltet mit seinen Gästen einen grotesken Maskenball.
Doch schließlich taucht ein Fremder in Rot auf …
Da
Cormans Poe-Filme auch in England sehr erfolgreich liefen und mittlerweile
sogar zu einer Konkurrenz für die dort ansässigen Hammer Productions
geworden waren, beschloß die AIP in Zusammenarbeit mit der britischen
Produktionsfirma Anglo-Amalgamated (aus deren Werkstatt bereits Filme
wie Circus Of Horrors und Peeping Tom hervorgegangen waren),
den nächsten Film der Reihe dort zu produzieren. Im November 1963 begannen
in Elstree/England die Dreharbeiten zu Masque Of The Red Death:
Charles Beaumont und Wright Campbell verfaßten ein Drehbuch, das einerseits
Poes gleichnamige Erzählung auf eine sehr gelungene Art variiert, zugleich
aber auch Elemente aus The System Of Dr. Tarr And Professor Fether
einfließen läßt (so ergötzt Prospero sich daran, seine Gäste in die
Rolle von Tieren schlüpfen zu lassen, die ihren Charaktereigenschaften
am ehesten entsprechen) und - sozusagen als Geschichte in der Geschichte
- auch noch Hop Frog nacherzählt (Prosperos zwergwüchsiger Narr
nimmt an dem Edelmann Alfredo grausame Rache für die Mißhandlung der
Tänzerin Esmeralda).
Masque
Of The Red Death hob sich in vielen Dingen von seinen Vorgängern
ab. Das Budget war höher, die Drehzeit länger (runde 5 Wochen anstatt
der in den USA üblichen 15 Tage, da die britische Crew ein anderes Zeitschema
gewöhnt war) und die Kulissen weitaus aufwendiger (so stammten
einige der Bauten aus Peter Glenvilles kurz zuvor fertiggestelltem Historiendrama
Becket). Aber auch die die Story und die Protagonisten waren
weitaus komplexer angelegt. So ist Prinz Prospero ein vielschichtiger
und überaus faszinierender Charakter: Zwar tritt er seinen Untertanen
gegenüber als gnadenloser Tyrann auf, ist aber keinesfalls eine eindimensionale
Schurkenfigur. Vincent Price verkörpert den Prinzen als eine charismatische
Mixtur aus nihilistischem Philosophen und zynischem Freigeist, der die
ihn umgebenden Höflinge ebenso verachtet, wie die christlichen Bauern,
die auf seinem Land dahinvegetieren und vergebens auf Gottes Hilfe hoffen.
Sein Pakt mit dem Satan resultiert aus der simplen Erkenntnis, daß das
Böse ohnehin schon seit langem gesiegt hat und einige seiner Überlegungen
zum Lauf der Welt erscheinen durchaus nicht abwegig. Auch optisch ist
Masque Of The Red Death ein herausragender Film: Roger Corman
verband hier Poes Phantasie mit Inspirationen, die er aus Ingmar Bergmans
Klassiker Das siebente Siegel zog, und erschuf - nicht zuletzt
dank der wunderbaren Arbeit des des britischen Kameramanns Nicolas Roeg
- das bisher kunstvollste Kapitel seiner Poe-Reihe. Die Ausstattung
wurde mit viel Liebe zum Detail gefertigt; so gibt es in Prosperos Schloß,
der Vorlage getreu, natürlich die sieben verschiedenfarbigen
Gemächer, außerdem aber auch eine bizarre Uhr, die auf The Pit And
The Pendulum anspielt. Kostüme, Kulissen, ja sogar die immer farblich
passend gewählten Kerzen, die den Palast erleuchten, verbinden sich
zu verschwenderisch bunten Impressionen, die in Kontrast zu den nebelumfluteten
(Studio-)Landschaftsszenen stehen, in denen düstere Grau- und Blautöne
vorherrschen. Natürlich tauchen auch hier wieder Cormans psychedelische
Stilmittel auf: Als Prosperos Geliebte Juliana (Hazel Court in einer
ihrer wirklich besten Rollen) ihre Seele dem Teufel verschreibt, muß
sie einen Trank zu sich nehmen, der ihr prompt einen hübsch inszenierten
Horrortrip beschert. Anfangs geistert sie noch durch ein nebliges Nirvana,
plötzlich findet sie sich jedoch auf einem Opferaltar wieder und aus
dem Dunkel vor ihr tauchen nacheinander verschiedene Priester versunkener
Kulturen auf, die sie ein ums andere Mal rituell töten. Diese Szenen,
in denen Hazel Court sich mit einem scheinbar durchsichtigen Gewand
auf dem Altar räkelt, wurden damals übrigens in der britischen Version
des Films entfernt. Die nicht aussterbende Zunft der Zensoren war 1964
eben noch leichter erregbar als heutzutage …
1965:
Tomb Of Ligeia (Das Grab der Lygeia)
England,
Anfang des 19. Jahrhunderts: Verden Fell hat den Tod seiner geliebten
Frau Ligeia nie verwunden und lebt mit einem alten Diener zurückgezogen
in einer halbverfallenen, ehemaligen Abtei. Eines Tages lernt er jedoch
Lady Rowena kennen und obwohl er anfangs ihre Gesellschaft scheut, verliebt
er sich in sie und heiratet erneut. Doch als er nach der Hochzeitsreise
mit ihr in die Abtei zurückkehrt, dauert es nicht lang und seltsame
Dinge geschehen: Rowena wird von einer geheimnisvollen schwarzen Katze
terrorisiert, leidet an Alpträumen und ihr Mann verschwindet Nacht für
Nacht in irgendeinem geheimen Kellergewölbe. Ligeia, die dem altägyptischen
Ewigkeitskult huldigte, hat nach wie vor Macht über den Willen ihres
Witwers …
Roger
Corman, der in einer weiteren Ausreizung des Poe-Themas längst keine
künstlerischen Perspektiven mehr sah und Angst vor permanenten Selbstzitaten
hatte, beschloß den Zyklus zu beenden und legte mit Tomb Of Ligeia
ein Abschiedswerk vor, das heute wohl als der absolute Höhepunkt der
Reihe betrachtet werden kann. Das von Robert Towne (der später auch
Polanskis Chinatown schrieb) verfaßte Drehbuch ist ein psychologisch
verschachteltes Gothic Horror-Melodram, in dem sich wesentliche Elemente
der Poe-Vorlage wiederfinden - so z. B. der Tod der schönen Geliebten
und deren Wiederkehr im Körper ihrer Nachfolgerin, und die alte Abtei
als Ort der Handlung. Die nekrophile Thematik der Erzählung wird hier
jedoch noch weiter ausgebaut und die Obsession des Protagonisten ruft
durchaus Erinnerungen an Hitchcocks Vertigo wach. Vincent Price
verkörpert diesen Antihelden behutsam, mit viel Einfühlungsvermögen
und Verzicht auf jegliche Theatralik: Sein Verden Fell erscheint als
ein unterkühlter, fragiler Ästhet; von Kopf bis Fuß in Schwarz, die
Augen hinter einer undurchdringlichen dunklen Brille verborgen, lebt
er inmitten einer Unmasse antiker Altertümer in einer halbverfallenen
Abtei und zieht die Gesellschaft seiner Kunstschätze der anderer Menschen
vor. In seiner Übersensibilität und seiner Weltflucht erinnert er an
Roderick Usher, ist aber zugleich ein viel diffiziler gestalteter Charakter,
hinter dessen beherrschter Maske sich eine obsessiv-leidenschaftliche
Natur verbirgt. Anders als Usher ist Fell durchaus willens, aus seinen
selbstgewählten Fesseln auszubrechen, nach der Heirat mit Rowena (hervorragend
dargestellt von Elizabeth Shepherd, die zugleich auch Ligeia verkörperte),
scheint ihm dies sogar für kurze Zeit zu gelingen. Doch Ligeia hält
ihn über ihren eigenen Tod hinaus in ihren Bann. Es beginnt ein bizarres
Dreiecksverhältnis zwischen Fell, Rowena und der toten Geliebten, deren
Leichnam er in einem geheimen Gemach aufbewahrt - und die Toten scheinen
schließlich die Oberhand über die Lebenden zu gewinnen.
Tomb
Of Ligeia wurde, wie auch ein Jahr zuvor Masque Of The Red Death,
in England gedreht und brachte ein absolutes Novum in den Poe-Zyklus
ein: Erstmals gab es ausgedehnte Außenaufnahmen und Sonnenlicht. Dies
widersprach eigentlich Roger Cormans bislang konsequent beibehaltenem
Konzept der gewollten Künstlichkeit: "Freud mag wissenschaftlich
genau dasselbe Thema erforscht haben, das Poe oder Baudelaire zuvor
auf eine künstlerische Art verarbeitet hatten. Ich glaube, daß Poe die
Macht und den Einfluß des Unterbewußtseins erkannt hatte. Für mich war
die beste Art, das Unbewußte darzustellen, immer ein artifizieller,
an die Grenzen des Studios gebundener Stil. Ich entschied mich also,
niemals natürliche Außenaufnahmen zu machen. Wenn ich gezwungen war,
das Studio zu verlassen, machte ich normalerweise immer Aufnahmen vom
Ozean, denn ich glaube, daß das Meer eine komplexe Symbolik für die
Menschen besitzt. … Bis zu Tomb Of Ligeia hielt ich mich in den Poe-Filmen
sehr strikt an diese Theorie." Doch zu dieser Zeit suchte der Regisseur
längst nach neuen Ausdrucksformen und Stilmitteln. Angeregt von Vincent
Price, der sich schon Jahre zuvor gewünscht hatte, einmal einen Film
in einer authentischen Ruine zu drehen, recherchierte Corman in britischen
Archiven ausgiebig nach geeigneten Drehorten und stellte schließlich
eine Liste von über 20 Abteien, Herrenhäusern, Schlössern und Burgen,
die sich von England bis in den Norden Schottlands erstreckten, zusammen.
An einem Wochenende mietete er sich einen Wagen und suchte in einer
Marathontour nacheinander all diese Örtlichkeiten auf. Letztendlich
entschied er sich für die alte Norfolk Abbey in East Anglia, eine pittoreske,
verfallene Abtei, die in der Regierungszeit Heinrichs VIII. zerstört
wurde. Die in dieser Ruine gefilmten Bilder besitzen eine ganz eigene,
neue Qualität, die sich stark von den vorangegangenen Poe-Filmen unterscheidet,
jedoch enorm zur Gesamtwirkung des Films beiträgt. Wenn die hagere,
schwarze Gestalt Verden Fells bei gleißendem Sonnenlicht durch die labyrinthischen
weißen Mauern spaziert, wirkt er ebenso wie diese, wie das Relikt einer
anderen Welt; die reale Natur tritt hier an die Stelle der Studiolandschaften
und unterstreicht hier die surreale Atmosphäre der erzählten Geschichte.
Vincent Price bezeichnete Tomb Of Ligeia als seinen persönlichen
Lieblingsfilm aus Cormans Poe-Zyklus. Auch die Presse war begeistert,
der Film erhielt exzellente Kritiken - die London Times verglich ihn
sogar mit Jean Cocteaus Orphée - und Roger Corman bekam erstmals
in seiner Laufbahn ernsthafte künstlerische Anerkennung. Doch diesmal
hielt der Regisseur sich an seine Vorsätze und dies blieb sein definitiv
letzter Poe-Film.
In den folgenden Jahren wandte sich Roger Corman anderen Themen zu,
experimentierte mit neuen Stilmitteln und verabschiedet sich 1971 mit
dem Kriegsfilm Von Richthofen And Brown (Manfred von Richthofen -
Der Rote Baron) von der Regiearbeit, um fortan nur noch als Produzent
tätig zu sein. Er gründete New World Pictures und verlegte sich auf
die Produktion von billigen Exploitationfilmen, mit deren Erlös er in
den USA europäische Kunstfilme in die Kinos brachte (so z. B. Arbeiten
von Ingmar Bergman und Federico Fellini). Nach einigen Jahren verkaufte
er dieses Unternehmen wieder und gründete Concorde Pictures. Als Produzent
gab Corman zahlreichen Regisseuren die erste Möglichkeit, ihre Talente
unter Beweis zu stellen und förderte auf die Art u. a. Francis Ford
Coppola, Martin Scorcese, Jonathan Demme, James Cameron, Peter Bogdanovich
und Joe Dante. 1990 führte er noch ein letztes Mal Regie und drehte
den, auf einem Roman des britischen Science Fiction-Autors Brian W.
Aldyss basierenden Horrorfilm Frankenstein Unbound. Mit Concorde
Pictures ist er heute nach wie vor als Produzent tätig und widmet sich
mit Vorliebe schnell fabrizierten B-Movies - Filmen von der Art, mit
denen einst seine Karriere begann …
© Thomas Wagner Quellen:
Lucy Chase Williams: The Complete Films of Vincent Price (Citadel
Press, 1995)
David del Valle: Ms. Found on a Cassette: Roger Corman on his AIP
Poe Films (Video
Watchdog #24, 1994)
David del Valle: A Conversation with Vincent Price (Video
Watchdog #11, 1992)
Dieser Artikel erschien übrigens in kürzerer Fassung in dem
Magazin Mephisto
(#22, März/April 2003) sowie in Auszügen in dem begleitenden
Booklet der 2004 von e-m-s
veröffentlichten Edgar Allan Poe-3er-DVD-Box.
Bitte beachten Sie das Copyright! Alle Texte auf dieser Website dürfen nur nach ausdrücklicher Genehmigung der Autoren abgedruckt oder wiederverwendet
werden (dies gilt auch für Veröffentlichungen im Internet)!
zurück zu la Maschera | Home |
|