|
KAMMERSPIEL DER TOTEN SEELEN Notizen zu Amanti d'Oltretomba
"I'm going to rid you of your vulgar ways and replace them with others much more subtle and refined." Lady Muriel zu ihrem Gärtner David
"You taught me the pleasure of the torment of the flesh which turns into ecstasy. Now I'm going to reward you with that same pleasure..." Lady Muriel zu ihrem Gatten Steve
Von
unseligen Leidenschaften und Besessenheit getriebene Protagonisten, ausgeklügelte
Sadismen und Rache über den Tod hinaus, ein altes Schloß als ausweglose
Bühne des Dramas - all dies sind klassische Ingredenzien des Gothic Horrors
und auf diese griff auch Mario Caiano zurück, als er 1965 den schwarzromantischen
Horrorthriller AMANTI D'OLTRETOMBA (zu deutsch: Die Liebenden aus dem Jenseits)
inszenierte. Wie für das italienische Horrokino der 60er Jahre typisch, steht
im Zentrum des Geschehens natürlich weder Monster noch Gespenst, sondern
eine faszinierende Frau, verkörpert von Barbara Steele, die (zum Entzücken
aller Steeleophilen) wieder einmal in einer Doppelrolle brilliert.
Die folgende nähere Betrachtung des Films hat die englisch synchronisierte
Fassung NIGHT OF THE DOOMED zur Grundlage.
Die
Geschichte führt in das viktorianische England, genauer gesagt in das stattliche
Hampton Castle1. Hier residieren Dr. Stephen Arrowsmith (Paul Muller)
und seine Gattin Muriel, doch um das Eheglück der Arrowsmiths ist es nicht
sonderlich gut bestellt: Der Doktor widmet sich lieber obskuren Experimenten im
Labor als seiner Gattin und unterhält ein ziemlich zwielichtiges Vetrauensverhältnis
mit der greisen Haushälterin Solange (Helga Liné in einem Makeup,
das sie aussehen läßt, wie Ed Wood beim Tuntenball). Muriel Arrowsmith
- geborene Lady Hampton und die eigentliche Herrin des Schlosses - hingegen wird
es nicht müde, sich über ihren Angetrauten und insbesondere über
dessen Experimente lustig zu machen. "If these animals could speak, they'd
have something to say about your tastes", bemerkt sie eines Abends angesichts
eines sezierten Frosches vielsagend und nimmt noch einen Schluck ihres Lieblingscognacs.
Doch der Doktor hat nicht viel Zeit, um sich Muriels verbalen Stichen hinzugeben,
denn er ist ein vielbeschäftigter Mann und muß noch am gleichen Abend
abreisen. "I entrust my wife's safety to you", bemerkt er zum Abschied
zu David dem Gärtner und Hüter des heimischen Gewächshauses, was
diesen zu einem vieldeutigen Grinsen veranlaßt. Als der Doktor in seiner
Kutsche schließlich vom Hof geprescht ist, frohlockt Muriel. Versonnen lächelnd
entlockt sie ihrem Klavier einen melancholischen Walzer (einen typischen Ennio
Morricone-Ohrwurm, der sich im folgenden noch als musikalisches Leitmotiv durch
den Film ziehen wird), was für David das Signal ist, die ihm anvertrauten
Pflanzen sich selbst zu überlassen, und sich die Stufen empor zum Schlafgemach
seiner Dienstherrin zu begeben. Dort angelangt empfängt
ihn Muriel - bereits nur noch im Nachtgewand - mit offenen Armen, und es wird
recht schnell klar, daß Mrs. Arrowsmith die Dienstreisen ihres Gatten nicht
nur zum Klavierspiel nutzt.
"I'm going to rid you of your vulgar ways and replace them with others much
more subtle and refined", verspricht Muriel ihm, und wenn der feurige Gärtner
zwar auch nicht so ganz den zwei- bis mehrdeutigen Bemerkungen der Lady folgen
kann, so läßt er sich von ihr doch nur zu gern an die Hand nehmen und
in das Gewächshaus führen, wo die beiden sich zu sinnlicher Streicher-Untermalung
zwischen die Blüten und Blattpflanzen sinken lassen. Doch das intime Intermezzo
nimmt ein abruptes Ende, als Stephen Arrowsmith auf einmal überraschend auf
der Bildfläche erscheint...
Der gehörnte Doktor entpuppt sich als ein unerwartet emotionell agierender
Mensch, zumindest was seine Rachegelüste angeht: Muriel und David finden
sich im Keller in Ketten und den Mißhandlungen Arrowsmiths ausgesetzt wieder.
Er verspricht seiner Gattin die größten Foltern und Qualen und macht
sich daran, dieses Verprechen in die Tat umzusetzen.
Diese Sequenz führt, trotz (?) all ihrer graphisch wenig zimperlich geschilderten
Gewalt, geradezu exemplarisch das L'art pour l'art-Prinzip von Caianos Film vor
Augen: Wenn Muriel/Steele, sich in ihren Ketten windend, Arrowsmith/Mullers Torturen
mit einem leidenschaftlichen Zornesausbruch quittiert und ihrem Peiniger (der
seinerseits mit der gleichen naiven Unbefangenheit seine Frau malträtiert,
mit der er im Labor Frösche viviseziert) prophezeit, daß ihr Haß
sogar noch ihren Tod überdauern werde, so ist dies keine naturalistische
Darstellung physischer Qual, sondern gewollte Grand Guignol-Theatralik. Schmerz
und Grausamkeit werden in dieser Performance dem Urteil der Moral entzogen, durchlaufen
eine Symbiose und erfahren eine ästhetische Erhebung zur Kunstform - wie
Muriel im Finale des Films nochmals beweisen wird, wenn sie als Herrin der Qual
aus dem Jenseits zurückkehrt...
Doch zurück zum Geschehen im Keller: Muriel offenbart Arrowsmith schließlich,
daß sie ihr Testament geändert hat. So wird nicht Stephen Arrowsmith,
sondern ihre geistig verwirrte Stiefschwester Jenny Hampton Castle und das Vermögen
erben. Die Dinge sind bekanntlich oft anders als sie scheinen und es stellt sich
heraus, daß Stephen Arrowsmith zusammen mit Solange schon lange plante,
Muriel umzubringen, um an deren Vermögen zu kommen. Solange befürchtet
nun, daß das ganze eingefädelte Eifersuchtsdrama aufgrund der Testamentsänderung
umsonst war, doch der Doktor beruhigt sie: er habe bei seinen Experimenten das
meistgesuchte Geheimnis der Menschheit entdeckt und werde sie angemessen entlohnen.
"You will get your reward, a reward that will be more precious for you than
all the wealth in the world..." Während der Zuschauer noch über
diese Worte rätseln darf, hat Dr. Arrowsmith die beiden Ehebrecher ins Schlafgemach
geschafft und beginnt mit der Fortsetzung seines grausamen Werkes. "Now you
see, now you feel what I felt", verhöhnt er den verzweifelten David,
bevor er sich der ans Bett gefesselten Muriel zuwendet. Was dort geschieht, sehen
wir nicht, können wir uns aber unschwer denken. Im Anschluß träufelt
der unermüdliche Arrowsmith Säure auf Muriels Gesicht und bringt letztendlich
Gattin und Gärtner in dem zu einem elektrischen Stuhl umgerüsteten Bett
mittels Hochspannung endgültig ums Leben.
Man hat Stephen Arrowsmith ja mittlerweile als einen etwas merkwürdigen Zeitgenossen
kennengelernt - von rasender Eifersucht verzehrter Ehemann, habgieriger Gattenmörder,
dilletantischer Hobbysadist und Mad Scientist in einer Person - und dieses Bild
verstärkt sich noch im Anschluß an diese Szenen: Er zapft der toten
Muriel das Blut ab und benutzt den Lebenssaft um die greise Solange in eine Mittzwanzigerin
zu verjüngen. Den beiden Leichen entnimmt er die Herzen - wozu, das weiß
bislang nur er selbst - und verbrennt anschließend die Körper. Die
Asche der Toten benutzt er schließlich - Gipfel des Sarkasmus - als Dünger
für eine neue Pflanze...
Doch
das Leben geht weiter: um des Vermögens nicht verlustig zu gehen, heiratet
der Doktor kurz nach dem Tod seiner Gattin - wie er diesen öffentlich gerechtfertigt
hat, bleibt auf ewig ein Rätsel - deren Stiefschwester Jenny (nochmals Barbara
Steele, allerdings blondiert), die gerade frisch aus einer Nervenklinik entlassen
wurde und sich noch in einer äußerst labilen Verfassung befindet. Mittels
halluzinogener Drogen - so Arrowsmiths diabolischer Plan - soll Jenny innerhalb
kurzer Zeit wieder in den Irrsinn getrieben und schließlich für den
Rest ihres Lebens entmündigt in die Klinik abgeschoben werden. Schon die
erste Nacht in Hampton Castle gestaltet sich denn auch für Jenny als purer
Alptraum: zu mitternächtlicher Stunde erwacht sie von dem immer näher
kommenden Geräusch schlagender Herzen; als sie die Schlafzimmertür öffnet,
fegt ihr ein Windstoß ins Gesicht und irres Gelächter erschallt auf
den Fluren. Die Pflanze mit der Asche der Toten scheint zu bluten... Traum und
Realität beginnen sich zu vermischen, und schon im nächsten Moment sieht
Jenny sich in einem Sarg liegen. Ein fremder Mann - David - reicht ihr seine Hand
und führt sie in das Gewächshaus, in einer Umarmung sinken beide auf
den Boden. Ein gesichtsloser Mann tritt hinzu und attackiert David... Jenny erwacht
schreiend mit ihren Händen um Arrowsmiths Kehle.
Am nächsten Tag stellt Arrowsmith fest, daß das Halluzinogen mit harmlosen
Tropfen verwechselt wurde und somit den Alptraum gar nicht bewirkt haben konnte.
Trotz der Bedenken Solanges (die nach ihrer Verjüngung zu Arrowsmiths Mätresse
geworden ist - oder war sie das schon vorher?) wertet der Doktor dies als willkommenes
Zeichen für Jennys wiederkehrende Geisteskrankheit, und nach einigen weiteren
Vorfällen wird schließlich aus der Nervenklinik der junge Dr. Derek
Joyce (Lawrence Clift) geholt, der bereits dort als Psychiater für Jennys
Behandlung zuständig war. Er entdeckt an seiner ehemaligen Patientin recht
schnell auffallend fremde Verhaltensweisen: Obwohl sie früher niemals Alkohol
anrührte, bedient sie sich nun eifrig an Muriels Lieblingscognac, und als
Arrowsmith von seinen Experimenten berichtet, beginnt sie - genau wie einst Muriel
- haltlos zu lachen... Später im Gewächshaus erzählt sie Joyce
von den obskuren Träumen, die sie seit ihrer Ankunft in Hampton Castle heimsuchen,
von ihrer Angst, sich in einer fremden Person zu verlieren, die schleichend von
ihr Besitz zu ergreifen scheint. You will end up a prisoner of your madness and
obsessions forever,warnt der Psychiater sie mit analytischem Weitblick. Als Jenny
abermals das geträumte Erlebnis im Gewächshaus rekapituliert, fällt
ihr ein, daß sie bei dem Angriff des Fremden einen Ohrring verlor. Tatsächlich
kann sie unter einigen Blättern auch dieses Schmuckstück finden - allerdings
hat sie es in der Realität noch nie zuvor gesehen. "It's very strange",
stellt Dr. Joyce recht treffend fest.
Nun
doch überzeugt davon, daß irgend etwas Reales, irgendeine tatsächliche
Begebenheit hinter Jennys Phantasmagorien steckt, informiert er Arrowsmith und
zeigt ihm auch den gefundenen Ohrring, den jener bereitwillig als Schmuckstück
Muriels identifiziert. Arrowsmith begründet den Fund damit, daß Jenny
wohl an einer Form von unbewußter Kleptomanie leiden müsse und sich
heimlich an den Hinterlassenschaften ihrer Stiefschwester bedient habe. Kurz darauf
versteckt Solange den zweiten Ohrring in Jennys Schmuckschatulle, und als Dr.
Joyce sie bittet, ihm deren Inhalt zu zeigen, scheint Arrowsmiths Anschuldigung
bestätigt - diese geschickt eingefädelte Intrige mit ihren peinlichen
und demütigenden Folgen ist eine deutliche Anleihe bei dem Thriller-Klassiker
GASLIGHT2: Auch dort versucht ein habgieriger Ehemann zusammen mit
seiner Haushälterin seine labile Ehefrau in den Wahnsinn zu treiben, und
auch dort wird ein verstecktes Schmückstück Mittel zum Zweck...
"Poor Jenny, she becomes stranger all the time", bemerkt Arrowsmith
später süffisant beim abendlichen Diner, während seine Frau nervlich
zerrüttet in ihrem Bett liegt, und ahnt noch nicht, wie recht er damit hat
... Noch am selben Abend attackiert Jenny - besessen von Muriels Geist - ihn mit
einem Skalpell, der hinzueilende Dr. Joyce kann allerdings schlimmeres verhindern.
Als Joyce die verwirrte Jenny in ihr Schlafzimmer bringt, behauptet sie plötzlich
Muriel zu sein und beginnt sich dem überraschten Psychiater in eindeutig
verführerischer Absicht zu nähern. Als Gentleman nutzt dieser jedoch
nicht die Situation aus - er hat auch gar keinen Sinn dafür, denn da er zwischenzeitlich
in der Gruft Muriels leeren Sarg entdeckt hat, beginnt nunmehr auch er an ein
übernatürliches Phänomen zu glauben. Er beschließt mit Jenny
am nächsten Tag das Schloß zu verlassen, um in die Klinik zurückzukehren
und erzählt Dr. Arrowsmith von diesem Vorhaben, doch der - von der stets
wachsamen Solange vorgewarnt - hat inzwischen längst seine Pläne geändert.
Jenny soll als Frischblutlieferantin für die allmählich kränkelnde
Solange (offenbar funktioniert des Doktors Verjüngungstherapie noch nicht
auf Dauer) dienen und der neugierige Psychiater kurzerhand beseitigt werden. Zu
letzterem Anlaß will er sich einmal wieder der Elektrizität bedienen:
er verkabelt Joyces Badewanne und setzt diese unter Hochspannung, allerdings erwischt
es nur den Diener Jonathan, als dieser versucht ein Stück Seife aus dem Badewasser
zu fischen. Die anschließende Diagnose lautet auf Herzversagen...
Stephen Arrowsmith läßt sich durch derlei Fehlschläge jedoch nicht
aus der Ruhe bringen: Mittels gespielter Eifersucht und dem Versprechen einer
langen Reise gelingt ihm, seine - nach diesem Vorfall nervlich endgültig
am Ende befindliche - Frau davon abzubringen, mit Joyce in die Klinik zurückzukehren.
In dieser Nacht erleidet Jenny erneut einen heftigen Alptraumanfall. Als Dr. Joyce
nach ihr sehen will, scheint wieder Muriels Geist von ihr Besitz ergriffen zu
haben, diesmal allerdings wälzt sie sich wie in konvulsiven Schmerzkrämpfen
und erwähnt in delirierenden Reden immer wieder ihr Herz - ihr Herz, das
"unter der Statue" verborgen sei ...
Als Joyce am nächsten Morgen abreist, verabschiedet sich Jenny von ihm in
einer recht merkwürdigen Stimmung. "Don't you find enough to interest
you here?", fragt sie ihn und im gleichen Moment fällt sein Blick auf
den Sockel einer Statue im Schloß: ein Relief befindet sich dort, das zwei
verschlungene Herzen darstellt.
Ein
infernalisches Unwetter tobt am folgenden Abend um Hampton Castle und läutet
mit Donnerschlägen das Finale des Films ein: Dr. Arrowsmith denkt natürlich
nicht im Traum daran, mit Jenny die versprochene Reise anzutreten - stattdessen
überwältigt er sie und schafft sie in sein Labor, wo er sie mit den
aufmunternden Worten "I'm going to free you of your nightmares forever ..."
für die Transfusion vorbereitet. Doch Derek Joyce, der an Jenny inzwischen
durchaus nicht mehr nur als Arzt interessiert ist und seit einiger Zeit einen
nicht ganz unbegründeten Verdacht gegen den Hausherrn hegt, schleicht sich
in der Zwischenzeit wieder in das Schloß. Er entfernt das erwähnte
Relief am Statuensockel und entdeckt in einem Hohlraum tatsächlich die konservierten
Herzen Muriels und Davids. Was Arrowsmith dazu bewog, diese Organe dort zu lagern?
Nun - wie schon erwähnt - er ist nun einmal ein etwas merkwürdiger Zeitgenosse,
vielleicht auch ein bißchen sentimental... Weder Joyce noch dem Zuschauer
bleibt jedoch Zeit zum Wundern, denn kaum sind die Herzen aus ihrem steinernen
Verlies befreit, materialisieren sich auch schon - in einer sehr schön realisierten
Überblendungssequenz auf einem Treppenbogen - die entstellten Gestalten der
"Liebenden aus dem Jenseits", um sich an ihrem Peiniger zu rächen.
"It's my flesh you're touching", begrüßt die untote Muriel
kurz darauf den perplexen Arrowsmith, als dieser fassungslos die Hände nach
ihr ausstreckt, "the flesh you thought you destroyed. But you can't destroy
flesh anymore than you can love or hate. It's all the same thing." Offensichtlich
hat Muriel ihren Zynismus selbst im Jenseits nicht verloren und outet sich im
nächsten Moment auch schon von einer völlig neuen Seite: "You gave
me extreme pleasure, you taught me the pleasure of the torment of the flesh which
turns into ecstasy ... Now I'm going to reward you with that same pleasure. Come,
darling ..." Gesagt, getan: Während der zombifizierte David im Labor
Solange tötet, fesselt Muriel ihren Gemahl an einen mittelalterlichen Folterstuhl,
und zerschlägt eine Petroleumlampe auf ihm. Und derweil Arrowsmith bei lebendigem
Leibe verbrennt, schallt ihr wahnsinniges Gelächter durch Hampton Castle...
Doch Muriels Glück währt nicht lang: Als auch Jenny und Dr. Joyce in
den Genuß ihrer Aufmerksamkeit kommen sollen, wirft dieser geistesgegenwärtig
die Herzen ins Feuer. Mit deren Vernichtung verschwinden auch die Geister und
Joyce und Jenny flüchten hinaus in den Wolkenbruch - zurück in das Diesseits...?
AMANTI
... bot das perfekte Szenario für Barbara Steele und ist zugleich eine der
wenigen italienischen Produktionen, in denen ihre Orginalstimme erhalten blieb
(sie synchronisierte sich selbst in der Rolle Jennys). Regisseur und Drehbuchautor
Caiano nahm hier deutliche Anleihen bei einigen ihrer bis dato in Italien entstandenen
Horrorfilme - im Vordergrund standen Riccardo Fredas L'ORRIBILE SEGRETO DEL DOTTORE
HICHCOCK3 und LO SPETTRO4 Pate, deutliche Bezüge finden
sich aber auch bei Antonio Margheritis I LUNGHI CAPELLI DI MORTI5 und
Mario Bavas LA MASCHERA DEL DEMONIO6. Gerade aus LA MASCHERA ... (Barbara
Steeles Horrordebüt und zugleich ihre erste Doppelrolle) läßt
sich als deutliche Reminiszenz die Inbesitznahme durch eine andere (tote) Persönlichkeit
und die daraus resultierende Bewußtseinsspaltung ableiten. In AMANTI...
will die ermordete Muriel ihre Stiefschwester Jenny als Instrument ihrer Rache
nutzen und dieser Konflikt ist das eigentlich zentrale Thema des Films. Einmal
mehr erhält Steele zur Darstellung zweier konträrer Charaktere Gelegenheit:
Auf der einen Seite Jenny als fragile, "unschuldige" (und von daher
auch blonde) "Heldin"; sie gehört zwar der Welt der Lebenden an,
ist aber mental derangiert und scheint von daher für den Griff aus jener
anderen Welt sensibler zu sein, was schließlich darin gipfelt, daß
sie den Toten näher ist als dem Diesseits. Auf der anderen Seite ist es Muriel,
die dunkle Femme fatale, deren Wille so stark ist, daß er Folter und Demütigung
und schließlich sogar ihren Tod überdauert und die als furiose Königin
der Rache wiederkehrt - ein faszinierender Steele-Part par excellence.
Zugleich ist AMANTI D'OLTRETOMBA auch ein typisches Beispiel für den erstaunlichen
Minimalismus, mit dem viele der damaligen italienischen B-Pictures realisiert
wurden; eine durchweg gelungene Gradwanderung zwischen trashiger Skurrilität
und Alptraum-Kunst, bei der eine elegante einfallsreiche Kameraführung, atmosphärische
Ausleuchtung und die vorzügliche Besetzung das Minimalbudget dieser Produktion
ebenso vergessen lassen, wie die diversen kleinen Ungereimtheiten des Drehbuchs.
Der Film gestaltet sich quasi als Kammerspiel: Außenaufnahmen sind kaum
vorhanden, das Schloß bildet einen klaustrophobischen Mikrokosmos des Zwielichts
in dem sich das Schicksal der Akteure (und derer gibt es gerade einmal sechs an
der Zahl) erfüllt. Die sanft gleitenden Kamerafahrten Enzo Barbonis, untermalt
von Ennio Morricones suggestiver Fimmusik, erschaffen eine unwirklich-hypnotische
Stimmung, in der die Zeit stillzustehen scheint. Zwar präsentiert AMANTI
... sich auf den ersten Blick als gotisch verbrämte Mad Scientist-Mär,
doch ist dieser dramaturgische Aufhänger eigentlich weitgehend ohne Belang.
Die Obsessionen und Leidenschaften der Protagonisten dominieren die Story und
laden den Betrachter ein, sich - losgelöst von allen profanen Dogmen der
Logik - in diesen schwarzen Strudel fallen und sich von der somambulen Atmosphäre
des Films verzaubern zu lassen. Es ist eine Welt des Traumes und der Trance, deren
Bewohner ein bizarres Theater der Grausamkeit und großen Gesten zelebrieren
- sie sind alles in dieser Welt und doch nichts als Schemen eines Nachtmahrs.
Traum und Realität, Liebe und Haß, Schmerz und Lust - "It's all
the same thing", wie Muriel nach ihrer Rückkehr aus dem Jenseits feststellt.
Die Realität ist nichts (und so ist im Grunde auch jeglicher historische,
geographische oder sonstige Bezug in diesem Film bedeutungslos - die Relevanz
ist Firlefanz!), die Phantasie ist alles. Und wer sich diesem Credo des Traumkinos
unterwerfen mag, wird sich der Faszination von AMANTI ... nicht entziehen können.
AMANTI
D'OLTRETOMBA teilte das Schicksal vieler Low Budget-Horrorfilme und überstand
den internationalen Markt nur verstümmelt (ob der Film in Deutschland jemals
aufgeführt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis). In Großbritannien
z. B. widerfuhr dem Film eine besonders merkwürdige Verleihstrategie: betitelt
als NIGHT OF THE DAMNED wurde AMANTI ... nacheinander von drei verschiedenen Verleihfirmen
übernommen, ohne dabei jemals seine Kinopremiere zu erleben. Diese folgte
erst unter dem vierten Verleiher, DUK, der den Film unter dem haarsträubenden
Titel FACELESS MONSTER als Doppelprogramm mit Erle C. Kentons GHOST OF FRANKENSTEIN
durch die britischen Kinos jagte. Von den ursprünglichen 105 Minuten Laufzeit
blieben dabei allerdings nur 73 Minuten, was jedoch ausnahmsweise einmal nicht
der britischen Zensurbehörde BBFC anzulasten ist - auf deren Konto gingen
"nur" 2 entfernte Minuten, den Rest ließ die DUK selbst herausschneiden,
um den Film für ein Double Feature zeitlich kompatibel zu machen (man darf
dem Publikum halt nicht zu viel zumuten, an dieser Betrachtungsweise hat sich
ja bis heute nicht viel geändert...). Die US-Fassung NIGHTMARE CASTLE besitzt
noch gnädige 90 Minuten Laufzeit, entfernt wurden dabei hauptsächlich
Dialogszenen, was zur Folge hat, daß der Handlungsverlauf sich stellenweise
etwas abrupt und schwer nachvollziehbar gestaltet (so taucht hier der Diener Jonathan
erstmals in der Badszene auf, wo er im nächsten Moment auch schon wieder
aus dem Leben scheidet - man fragt sich irritiert, wo dieser Mensch auf einmal
herkommt...). Zu guter letzt hat das britische Videolabel Redemption 1998 dankenswerterweise
unter dem Titel NIGHT OF THE DOOMED eine sehr schöne 100minütige Fassung
des Films veröffentlicht - bislang wohl die beste Möglichkeit, AMANTI
D'OLTRETOMBA zu genießen.
© Th. Wagner
AMANTI D'OLTRETOMBA weitere Titel: NIGHT OF THE DOOMED, NIGHTMARE CASTLE, ORGASMO, FACELESS
MONSTER) Italien 1965, schwarzweiß, ca. 100 min bzw. 90 min (ursprünglich 105 min)
Produktion & Regie: Mario Caiano Buch: Fabio de Agostino, Mario Caiano Kamera: Enzo Barboni
Schnitt: Renato Cinquini Musik: Ennio Morricone Darsteller: Barbara Steele (Muriel/Jenny), Paul Muller (Dr. Stephen Arrowsmith), Helga Liné (Solange), Lawrence Clift (Dr. Derek Joyce), Rik Battaglia (David), John McDouglas (Jonathan)
Anmerkungen:
1: Hampton Castle kann wohl als deutlicher Tribut an Riccardo Freda gewertet werden, der seine Filme damals unter
dem Pseudonym Robert Hampton drehte.
2: GASLIGHT, basierend auf einem Theaterstück Patrick Hamiltons, wurde erstmals 1940 von Thorrold Dickinson verfilmt; weitaus bekannter (nicht zuletzt wegen Hauptdarstellerin Ingrid Bergman) dürfte allerdings
George Cukors Verfilmung aus dem Jahre 1944 sein.
3: L'ORRIBILE SEGRETO DEL DOTTORE HICHCOCK (1962, Regie: Riccardo Freda): Fredas famoser Nekrophilie-Thriller - auch hier findet sich ein etwas überdrehter Mann der Wissenschaft, der mit einer sinistren Haushälterin
konspiriert um die ihm angetraute Barbara Steele aus der Welt zu schaffen.
4: LO SPETTRO (1963, Regie: Riccardo Freda): Barbara Steele begeht mit dem Arzt ihres Mannes Ehebruch in einem Gewächshaus, am Ende des Films verbrennt sie ihren Liebhaber bei lebendigem Leibe.
5: I LUNGHI CAPELLI DI MORTI (1964, Regie: Antonio Margheriti): Zentrales Thema des Films ist die Vergeltung aus dem Jenseits. Barbara Steele kehrt aus dem Totenreich zurück und rächt sich an dem Mann ihrer jüngeren Schwester, der ebenfalls im Finale den Feuertod erleidet.
6: LA MASCHERA DEL DEMONIO (1960, Regie: Mario Bava): Hier will die 200 Jahre zuvor hingerichtete Hexe Asa ins Reich der Lebenden zurückzukehren, indem sie von Körper und Seele ihrer Nachfahrin Katia Besitz ergreiften versucht; beide Rollen wurden von Barbara Steele verkörpert.
Bitte beachten Sie das Copyright! Alle Texte auf dieser Website dürfen nur
nach ausdrücklicher Genehmigung der Autoren abgedruckt oder wiederverwendet
werden (dies gilt auch für Veröffentlichungen im Internet)!
zurück zu La Maschera | Home | |