DIE EWIGE TÄUSCHUNG
(The Eternal Mirage)
Thomas Ligotti


nd in der ausgedehnten Stille dieser Landschaft ist nichts geregelt oder sicher, nicht einmal das Abbild der Unendlichkeit, das von den Sternen und der Schwärze präsentiert wird, die sich unermeßlich über allem auszubreiten scheinen. Denn unten, so würde man schwören, erstreckt sich eine weitere Schwärze, ein endloses ebenholzfarbenes Plateau, dessen Oberfläche poliertem Stein gleicht. Dorthin, so würde es scheinen, hatte der Himmel Sterne geschleudert und sie in die glänzende Finsternis der unteren Welt eingefügt, so daß er von fern diese glitzernden Überbleibsel betrachten konnte, schimmernde Verstoßene aus seinem uralten Schatz, die brillantenen Trümmer seiner Träume.
Darum sieht man zugleich oben und unten das Flackern dieser leuchtenden Splitter, zitternde Himmelskörper, gefangen im ungebrochenen Netz der Schwärze. Und dieses abgründige Netz selbst scheint zu beben; denn nichts Friedliches oder Sicheres liegt in seiner Natur. Selbst die Leere, die das Sternenlicht von seiner Spiegelung auf der großen glasigen Ebene trennt, ist nur eine Imitation. Denn als er das ebene Land zu seinem Spiegel machte, hat der Himmel zu lang und zu tief hineingeblickt, sich in sich selbst ausgedehnt und seine eigenen Visionen umarmt und die Distanz zwischen dem Ding und seinem Trugbild ausgefüllt. Jeder Raum ist virtuell; das Unendliche ist illusorisch. Dort, in jener Landschaft, ist eine Dimension gestorben, hat die Tiefe ausgelöscht und nur ein strahlendes Abbild zurückgelassen, das lang und breit auf der unendlichen Oberfläche eines schwarzen Ozeans treibt.
Und es heißt, daß dieser Ozean selbst nur ein sternenbesätes Wahngebilde ist, das man in gewissen Augen erblicken kann … Augen, die man vielleicht beim Durchstreifen der Straßen von seltsamen Städten sieht … Augen, die zwei Sternen gleichen, die tief in einem schwarzen Spiegel liegen.

© Thomas Ligotti
Übersetzung: Monika Angerhuber, 2000
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Illustration: © Rainer Schorm, 2001
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