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die ganze Landschaft im Sterben liegt und duftend zur Erde hinabsteigt, stehen
wir allein auf. Nachdem Licht und Wärme die Welt verlassen haben und alle
melancholisch am Grab der Natur stehen, kehren wir allein zurück, um ihnen
Gesellschaft zu leisten. Dies ist unsere Jahreszeit der Wiedergeburt. Das geschmeidige
Rascheln der Sommerbäume ist in dem sich abkühlenden Wind zu einem trockenen
Zischeln geworden, und unsere Ohren beginnen davon zu klingen, wenn wir dunkel
und tief in unseren Betten liegen. Verdorrte Blätter kratzen an unseren Türen,
rufen uns aus unseren einsamen Häusern.
Wir treiben halb betäubt aus den Schatten hervor: Bequem ins Vergessen gebettet,
erfreut es uns nicht besonders, an die brennende Luft herausgezerrt zu werden
für das Vergnügen eines unbekannten Zwietrachtstifters, eines kosmischen
Scherzbolds oder Taschenspielers. Aber vielleicht gibt es eine alte Farm, wo einst
überreiche Felder, säuberlich gepflügt, jetzt brachliegen, verlassen
von allem bis auf ein paar verstreute Halme. Wir begutachten die Szenerie und
lächeln mit dem, was von unseren Mündern übrig ist. Unter einer
scharfen Mondsichel wächst nun unsere Begierde nach Erfüllung.
Wir hassen die Lebenden nicht, nicht mehr als die Nacht den Tag haßt. Wie
sie sind wir einer Aufgabe verpflichtet, die wir so gut wie möglich vollbringen
müssen. So verstimmt wir uns fühlen mögen, sind wir doch hoffnungslos
abergläubisch, was das Nichteinhalten gewisser Verpflichtungen angeht, denn
es gibt Pflichten, denen sich nicht einmal die Macht posthumer Lethargie widersetzen
kann.
Darum, in Nächten, wenn ein eisiger Regen von den Dachrinnen tropft, wenn
alle Barrieren von Licht und Luxus gefallen sind, erscheinen unsere Abbilder,
um zu spuken und zu martern. Verschrumpelte Silhouetten in Türeingängen,
gekrümmte Haufen in Ecken, ausgezehrte Formen in Kellern und Dachböden
- plötzlich beleuchtet von einem Blitzstrahl! Oder vielleicht erhellt von
einer vorbeiziehenden Kerzenflamme oder dem weichen blauen Glanz des Mondlichts.
Aber wir ernten nicht wirklich Erschrecken oder Überraschung. Die unglücklichen
Zeugen unserer wahnwitzigen Wahrheit sind von ihren ängstlichen Vorahnungen
bereits halb irre. Unser Grauen ist ein erwartetes, wenn man die widernatürlichen
Neigungen dieser Jahreszeit bedenkt.
Wenn die Welt sich auf ihrem Weg zum Weiß grau färbt, ruft uns jedes
lebende Herz voll Furcht; und sind die Umstände günstig, so werden wir
antworten. Wir nehmen so viele wie möglich mit zurück in das Grab, denn
das ist unsere Aufgabe. Unser sinnentleerter Kreislauf ist aus dem Rhythmus der
Natur geraten: Wir gehen unseren eigenen Weg, Abweichungen des großen Systems,
und verlangen danach, der Charade aller Jahreszeiten ein Ende zu machen, ob sie
nun natürlich oder übernatürlich seien.
Und wir träumen immerdar von dem Tag, wenn all die Feuer des Sommers erloschen
sind, wenn jeder wie ein verschrumpeltes Blatt in den kühlenden Boden einer
sonnenlosen Erde sinkt, wenn selbst die Farben des Herbstes zum letzten Male verwelken,
sich auflösen in die desolate Weiße eines ewig währenden Winters.
© Thomas Ligotti
Übersetzung: Monika Angerhuber, 2000
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Illustration: © Rainer Schorm, 2001
eMail:
schoraim@t-online.de