an muß
die Stadt als Hochstapler-Stadt bezeichnen.
Niemals kommt irgendjemand vorsätzlich in diese Stadt. Das Reiseziel liegt
immer anderswo. Lediglich wenn das Ziel zu schnell erreicht wird oder jemandem
die ungewöhnliche Route auffällt, mag Verdacht aufkeimen. Dann erfordern
alle Dinge einen zweiten Blick. Dennoch scheint zunächst alles über
eine bewußte Anzweiflung erhaben. Falls man auf dem Weg zu einer großen
Metropole war, findet man hier die genaue Spiegelung jenes Ortes. Ihre Monumente
breiten sich wunderbar vor dem hellen Himmel aus, trotz eines unzeitgemäßen
Nebels, der ihre irdischen Landmarken verhüllt.
Aber
hier, so bemerkt man schnell, ist die Dämmerung aus dem Schritt geraten.
Vielleicht findet sie unerwartet früh statt, bringt Dunkelheit von ungewohnter
Qualität und Dauer. Während dieser erstickenden Stunden mag es Geräusche
geben, die eigenartig über die Grenzen des Schlafes dringen.
Der folgende Tag gehört einer düsteren Jahreszeit an. Und all die Türme
der großen Metropole sind vergangen in einem Nebel, der jetzt auf niedrigen
Gebäuden liegt und einen bleichen Vorhang vor den Himmel gezogen hat.
Durch diesen Nebel, der zäh und stagnierend über allem hängt, reckt
die Stadt ihre wahren Züge. Farblose, geduckte Häuser erscheinen längs
der Straßen, die sich planlos winden wie die Spalten zwischen den Teilen
eines Puzzles. Dunkle Gebäude blähen sich; ihre Oberfläche, die
weder Stein noch Holz ist, könnte aus verdorbenem Fleisch bestehen, das bei
der leichtesten Berührung zerfällt.
Manche dieser Bauwerke sind nur bloße Kulissen, die vor der dahinterliegenden
Leere aufgestellt wurden. Andere schützen anhand grob aufgemalter Szenen
ein Innenleben vor, wo sich eigentlich Fenster befinden sollten. Und wo sich doch
ein echtes Fenster zeigt, hängt wahrscheinlich ein Arm heraus, ein ausgestopfter,
baumelnder Arm mit einer Hand mit zu wenigen oder zu vielen Fingern. Hier und
dort hüpfen Fetzen von Unrat umher, ohne daß ein Windhauch sie antreibt.
Dies sind die einzigen Dinge, die sich in diesen Straßen zu bewegen scheinen,
obwohl da ein gleichförmig schabendes Geräusch ist, das den Schritten
folgt. Wenn man einen Moment stehenbleibt, um in den engen Spalt zwischen zwei
Häusern zu spähen, sieht man vielleicht ein Ding, das sich über
den Boden schleppt; oder vielleicht hat es sich schon über die Straße
gelegt und blockiert den Weg, der aus der Stadt hinausführt. Dieses Ding
ist nur eine Puppe mit toten Augen; doch wenn man versucht, darüber weg zu
steigen, klappt plötzlich ihr Mund auf. In diesem Augenblick ist dies das
äußerste, was die Stadt zustande bringt -- eine fingierte Drohung,
die kein Leben enthält und niemanden irreführt.
Erst später -- wenn man angeekelt diesen Ort kraftloser Täuschungen
hinter sich gelassen hat -- wird die wahre Bedrohung sich zu erkennen geben. Es
beginnt damit, daß vertraute Umgebungen bisweilen einen Anflug des Zweifels
auslösen. Dann müssen Orte ihre Echtheit beweisen, und man erwartet
von Gegenständen den Nachweis ihrer Körperlichkeit. Eine suchende Hand
tastet verunsichert über die Oberfläche eines Fensters.
Später dann kommen intensive Anfälle des Zweifels, die nicht nachlassen
wollen. Alles scheint nahe davor zu sein, sich als unwirklich herauszustellen
und in sich in der Dunkelheit zu verlieren. Selbst die Schatten brechen zusammen
und gleiten an Hausdächern herunter, tröpfeln an den Wänden herab
und auf die Straßen wie schwarzer Regen. Die eigenen Augen starren abwesend
in den Spiegel, der Mund klappt einem vor Grauen auf.
© Thomas Ligotti
Übersetzung: Monika Angerhuber, 2000
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Illustration: © Ingo Ahrens, 2001