DER DÄMONEN-MANN
(The Demon Man)
Thomas Ligotti


ogar im Dunkeln schienen sie anzudauern - Halbton-Mißgeburten, durchscheinend bis zum Verblassen in der Dämmerung. Ob mit offenen oder geschlossenen Augen, mit brennender oder nicht brennender Lampe, er spürte, daß sie über die Schwelle zu treten und sich auf der anderen Seite des Schlafes zu manifestieren drohten. Ihre Gesichter würden die Luft zu verdunkeln beginnen und dann verschwinden. Das Licht in seinem Zimmer verformte sich bereits jetzt zu phantastischen Gliedmaßen, die in und aus dem Blickfeld seiner Brillengläser schlüpften. Ein Lufthauch schwoll zäh und faulig an und wehte kurz gegen seine Wange.
Am Morgen ließ er sich bleich aus seinem Haus davontreiben, eine weitere Nacht, die ihm von seinen verunstalteten Herren abgepreßt worden war, ein weiteres Stückchen von ihm selbst, das in den schwarzen Spiegel der Träume glitt. Zuerst hatte er etwas von dem Verlust der vorhergehenden Nacht wettmachen wollen, aber von seinem eigenen Leben wurde ihm immer weniger zurückgegeben. Ihre Gegenwart begleitete ihn nun, ein unsichtbarer Dunst, der ihn umgab und seine Sinneswahrnehmung verzerrte. Die Straßen, die er entlangging, schienen unter seinen Füßen zu kippen; ein Anblick in der Ferne war über irdisches Maß hinaus verdreht und verwies auf die abgelegenen Bezirke des Alptraums. Stimmen flüsterten ihm aus der Tiefe von Treppenhäusern und den abgelegenen Ecken von Türeingängen zu. Irgendwie trugen die zusammengeballten Wolken einen Schlachthausgeruch mit sich, der ihn zurück an die Tür seines Hauses und in seinen Schlaf trieb.
Und in diese Träume hinein stürzte er, hilflos schräg gekippte Straßen hinunterrutschend, Treppenhäuser hinabtaumelnd, gefangen in einem Maschenwerk modriger Wolken. Dann begannen die Gesichter über ihn hinwegzufließen, scharfe Fingerspitzen sich in sein Fleisch zu recken. Er schrie sich wach. Aber sogar im Dunkeln schienen sie anzudauern.
Schließlich wurde er aus seinem Haus und auf die Straßen hinausgejagt und lief ziellos bis zum Tagesanbruch herum. Er wurde zu einem, der die Menschenmassen suchte, aber die Massen wurden dünner und ließen ihn im Stich. Er wurde zu einem, der die Lichter suchte, aber die Lichter wurden sonderbar und führten ihn an trostlose Orte.
Dann wurden die Lichter von der schwarzen, glänzenden Oberfläche der nassen Straßen reflektiert. Jedes Haus in dieser Gegend war ein verfallenes, zerbrechendes Gefäß der Dunkelheit; jeder Baum war absolut reglos. Es gab keine andere Seele, die ihm Gesellschaft leistete, und der Mond führte ihn in die Irre.
Da waren sie, bei ihm. Er konnte ihre grindige Berührung fühlen, auch wenn er sie nicht sehen konnte. So lange er lief, so lange er wach war, würde er sie nicht sehen. Aber jemand zerrte ihn am Ärmel, ein gebrechlicher kleiner Mann mit Brille.
Es war nur ein ältlicher Herr, der sich den Weg durch diese düsteren Straßen erklären lassen wollte, nur ein paar Bemerkungen mit dem dankbaren Fremden tauschen, welcher so begierig nach Gesellschaft war an diesem besonderen Abend. Schließlich tippte sich der alte Mann mit der leisen Stimme an den Hut und ging langsam weiter, die Straße hinunter. Aber er war nur ein paar Schritte weit gegangen, als er sich umdrehte und sagte: "Gefallen Ihnen Ihre Dämonen-Träume?"

© Thomas Ligotti
Übersetzung: Monika Angerhuber, 2000
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Illustration: © Rainer Schorm, 2001
eMail: schoraim@t-online.de
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