ünf Kerzen brannten die ganze Zeit über, an den fünf Spitzen des
Sterns. Sie gingen niemals aus. Der Mann, der in ihrer Mitte stand, war hochgewachsen,
seine Stirn angespannt. Sein Hemd war einst weiß gewesen, nun aber vergilbt,
um den Mond am dunklen Himmel über den verdrehten Bäumen vor dem Fenster
zu reflektieren. Drinnen waren nur dieser große leere Raum mit dem einzelnen
Stern, die fünf Kerzen und der Mann.
Dort befand sich auch das Buch, bei dessen Lektüre der Mann in der Mitte
des Sterns kniete: Buch der Verdammten. Es berichtete von anderen Welten, und
der Mann rief diese Welten an. Er hatte Visionen, Visionen im Rauch der Kerzen,
im Licht des Mondes, der auf dem matten, dunklen Boden des Zimmers glänzte.
Die Muster an den Wänden wirbelten in Kerzenlicht und Mondlicht.
Welten erblühten und verwelkten, drehten sich und standen still, gediehen
und zerfielen. Im Rauch der Kerzen. Aber sie waren alle gleich. Alle hatten verschiedene
Farben, genau wie die, die er kannte, und verschiedene Jahreszeiten: jede schlug
wie ein gehetztes Herz.
"Kein Blut mehr", schrie er würgend. "Diese Welten äffen
nur meine eigene nach." Und nochmals: "Kein Blut mehr!"
Die Kerzen, der Mond, die Muster an der Wand und der heulende Wind hörten
es; und alle stimmten zu, ihn in dieser anderen Welt willkommen zu heißen,
die ihnen bereits gehörte.
Nun würde sie ihm gehören.
Die Flammen flackerten kaum, als er in dem Stern zusammenbrach, sein Gesicht so
weiß über dem gelben Hemd und unter dem gelben Mond. Ein schönes,
blutleeres Weiß.
Wie närrisch waren die, die dachten, er sei tot: Die ihn in jener klebrigen
Erde begruben, so feucht und warm im Sommer. Und dunkel wie Blut.
© Thomas Ligotti
Übersetzung: Monika Angerhuber, 2000
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Illustration: © Rainer Schorm, 2001
eMail:
schoraim@t-online.de