JBF: Willkommen, Mr. Ligotti. Es ist ziemlich dunkel und kalt hier drinnen.
Ich habe direkt das Gefühl, daß wir uns soeben in die dunkelste
Zone des Cyberspace begeben haben, die jemals jemand zu finden hoffen
konnte. Ich finde, es ist ein ziemlich unheimliches Gefühl, wenn
man bedenkt, daß diese Zusammenkunft von Intelligenzen hier für
immer eingefroren bleiben wird und die Leute sich diese Interaktion unserer
Geister anschauen werden, wenn wir unser eigenes Augenmerk schon längst
wieder auf andere Dinge gerichtet haben. Ich schätze, es ist so ähnlich
wie Fußspuren im Sand zu hinterlassen, obwohl es in diesem Falle
mehr passen würde, von der dunklen Seite des Mondes zu sprechen.
Etwas, das ich seit einigen Jahren am eigenen Leib erfahre, ist eine tiefverwurzelte
Angst vor dem Tod, und so fasziniert es mich, daß Ihre Geschichten
oft darauf hindeuten, daß Sie sich offenbar nach Auslöschung
sehnen. Das ist so, als wenn ein extrem komplexer und talentierter Geist
sich wünscht, nichts weiter als eine Wolke von Dampf zu sein, die
in Kürze ins Nichts verschwinden wird. Warum veranlaßt diese
physische Existenz Sie so sehr dazu, sie zu verabscheuen, und glauben
Sie nicht daran, daß es eine spirituelle Existenz gibt, wenn der
menschliche Körper erst einmal erkaltet ist?
TL: Ich
habe vor langer Zeti herausgefunden, daß es sinnlos ist, irgendjemanden
davon überzeugen zu wollen, daß sie alle besser dran wären,
wenn sie nie geboren worden wären. Wenn jemand dies nicht von selbst
so sieht, gibt es nichts, was irgendjemand sagen könnte, um seine
Perspektive zu verändern, und es wäre ein närrisches Unterfangen,
es zu versuchen. Was eine postmortale spirituelle Existenz betrifft, so
denke ich, daß ich dafür zuerst einmal glauben müßte,
daß es so etwas wie einen spirituellen Teil des menschlichen Wesens
gibt, und das tue ich nicht. Ich kann mir nicht mal vorstellen, daß
ein Leben nach dem Tod etwas anderes als ein Alptraum sein könnte,
wahrscheinlich sogar ein weitaus größerer als die harte Gegenwart,
die wir jetzt erleben. Warum bringe ich mich also nicht gleich um? Keiner,
der so etwas fragen würde, würde die Antwort darauf verstehen.
JBF:
Autoren wie Lovecraft und Hodgson waren die ersten, die die Aussage verbreiteten,
daß das Universum der Menschheit gegenüber absolut gleichgültig
ist. Ich wüßte gern, was Sie denken, ob Sie an eine omnipotente
Intelligenz (nennen Sie sie meinetwegen Gott) glauben, die hinter dem
Universum steht? Ich bin sicher, daß Lovecraft von solchen Vorfällen
wie Roswell und anderen in jüngerer Zeit fasziniert gewesen wäre.
Glauben Sie, daß die Menschheit allein auf disem großen bunten
Ball in der Finsternis ist, oder glauben Sie an andere intelligente Lebensformen
da draußen?
TL:
Ich glaube, Lovecraft hätte sich auch ganz exzellent der Selbstmordkult-Welle
in jüngerer Zeit bedient, ganz zu schweigen von den Alpträumen
der Technologie. Was die Sache mit Gott betrifft, so kommt es mir bizarr
vor, daß man mir so eine Frage überhaupt stellt. Ich weiß,
daß es Geisteszustände gibt, in denen jeder fähig ist,
an alles mögliche zu glauben, z. B. an ein Leben nach dem Tod oder
eine Seele oder Gott, aber ich habe schon seit einiger Zeit so einen Geisteszustand
nicht mehr erlebt. Selbst zu den Zeiten, als ich an einen Gott glaubte
oder zumindest glaubte, daß ich es glaubte, habe ich nie das Gefühl
gehabt, daß da wirklich etwas Wahres dran war. Und zum Thema intelligente
Lebensformen in anderen Bereichen des Universums -- es ist mir schlichtweg
egal, so oder so. Ich kann mich nicht dazu bringen, daß ich das
Gefühl habe, daß es einen Unterschied macht. Ich erinnere mich
daran, wie mein jüngster Bruder etwas Lustiges über dieses Thema
sagt. Er ist ein großer Sportfan, und um seine Hingabe zum Football
kundzutun, sagte er einmal, wenn eine Landung von Außerirdischen
auf dem einen Kanal übertragen werden würde und Monday Night
Football auf dem anderen, würde er sich das Footballspiel anschauen
und die Alien-Landung auf Video aufnehmen. Ich glaube, ich würde
mir wahrscheinlich die Alien-Landung anschauen, weil ich kein Football-Fan
bin und es am Montag keine vernünftigen Fernsehsendungen gibt. Ich
erinnere mich, wie ich völlig entmutigt war, als ich hörte,
daß unter der Eisoberfläche eines der Monde des Jupiter vielleicht
organische Lebensformen existieren. "Da geht eine weitere wunderbare
Wüste dahin, die völlig unbefleckt war von den Umtrieben kreatürlicher
Existenz", dachte ich mir in einer Stimmung relativer Distanziertheit.
JBF:
Ich fände es interessant, herauszufinden, auf welche Art Sie eine
Kurzgeschichte schreiben. Meine Methode ist es, eine Geschichte als eine
Reihe von Visionen zu betrachten, fast wie einen Film, der in meinem Kopf
projiziert wird. Ich frage mich, ob es für Sie genauso ist? Machen
Sie Notizen und schreiben Sie einen Entwurf für die Story, an der
Sie arbeiten, oder lassen Sie sie einfach aus Ihrem Geist fließen?
TL: Natürlich
sehe ich bis zu einem gewissen Grad geistige Bilder von dem, was ich schreibe,
aber es ist nicht die Art von "Film im Kopf", wie ihn -- wie
ich glaube -- die meisten Horrorschriftsteller erfahren. Ich ziehe Standbilder
bewegten vor -- Fotografien sind mir lieber als Filme. Ich finde es schwierig,
als Leser ein Buch in meinem Kopf "nachzuspielen", was einer
der Gründe dafür ist, daß ich niemals herkömmliche
Romane lese: alles kommt nur so verschwommen und vage heraus -- speziell
wenn irgendeine Aktion beschrieben wird. Ich weiß, daß viele
Horrorautoren sich bemühen, ihre Worte transparent zu machen, sozusagen,
um ihren Erzählungen eine verstärkte Wirkung von Realismus zu
verleihen. Aber das funktioniert bei mir einfach nicht. Wenn an den Worten,
die sie verwenden, nichts Interessantes ist, dann gibt es für mich
als Leser nichts zu entdecken. Ich mache mir Notizen, bevor ich eine Story
schreibe, ebenso währenddessen. Aber ich neige dazu, eine Story mehr
als einen Essay als ein Werk der Fiktion zu betrachten. Ich denke mir
eine Handlung aus wie eine Reihe von Aussagen, die einen Sinn ergeben
sollen. Ich würde mich verloren fühlen, wenn ich meinen Geist
nur durch eine Story mäandern lassen würde, obwohl ich weiß,
daß das bei anderen Autoren ganz gut klappt. Es sieht so aus, als
ob es Spaß machen könnte, so zu schreiben.
JBF:
Was glauben Sie, wieviel Einfluß hat eine Story über den menschlichen
Geist, während die Person sie liest? Ich weiß, daß Sie
die Ansicht vertreten, daß jemand, der ein Buch liest, eine Art
Flucht begeht, um sich selbst für eine Weile von all der Grausamkeit
der Welt zu befreien (und ich stimme zu), aber hat der Autor für
diesen Zeitraum wirklich die volle Kontrolle über die Gedanken des
Lesers und die Gefühle, die dieser empfindet? Oder verliert die Vision
eines Autors ihre wahre Kraft, die sie dazu benötigen würde,
während der Übertragung auf einen anderen Geist?
TL: Obwohl
die Erfahrung des Lesens sehr wichtig für mich war, glaube ich nicht,
daß jemals etwas geschrieben wurde, das die Art von Macht ausüben
könnte, die Sie wohl damit meinen. Für mich ist Lesen eine Art
milde Partydroge, eine Ablenkung und nichts weiter. Versuchen Sie, Ihren
Lieblingsautor zu lesen, wenn Sie schlimme Kopfschmerzen haben oder eine
Erkältung, das ist eine gute Methode, um die Grenzen der Literatur
herauszufinden. Sie bietet wirklich nicht viel Hilfe -- nur für Leute,
die in einigermaßen guter Gesundheit sind, um sich die Zeit damit
zu vertreiben. Mit anderen Worten, ich glaube nicht an Literatur als eine
Form von Magie oder persönlicher Rettung.
JBF:
Im Lauf der Jahre bin ich Zeuge von einigen Vorkommnissen geworden, die
ich nicht erklären kann. Vielleicht spreche ich jetzt über das
Übernatürliche, aber ich mag dieses Wort nicht gern benutzen,
weil die Leute dann sofort an die Conan Doyle-Ära denken und all
den simulierten Spiritualismus, der zu jener Zeit getrieben wurde. Aber
was würden Sie davon halten, wenn jemand Ihnen erzählte, daß
er wirklich solche Sachen wie Glühlampen erlebt hat, die explodieren,
auch wenn sie gar nicht eingeschaltet sind, oder frische Blumen, die in
einer Vase über Nacht sterben, und ähnliche Dinge. Glauben Sie,
daß so etwas von einer eigenen Kraft des menschlichen Gehrins kommt,
oder eher von etwas außerhalb, das wir noch nicht verstehen? Haben
Sie jemals selbst solche Erlebnisse gehabt?
TL: Ich
habe mal einen Kurs in etwas gemacht, das Silva Mind Control hieß.
Das war damals in den frühen Siebzigern. Es ging darum, das sogenannte
eigene psychische Potential zu entwickeln. Jeder in der Gruppe hat mit
Erfolg irgendeine Art von paranormalem Kunststück ausgeführt.
Ich habe selbst die Krankheiten von verschiedenen Leuten diagnostiziert,
die ich nie zuvor gesehen hatte. Es machte einigermaßen Spaß
und ich glaube, daß ich damals auch ein bißchen verwundert
war, aber es hat mein Leben nicht verändert. Ich weiß, daß
solche Erlebnisse auch mit nicht-paranormalen Mitteln hergestellt werden
können, was nicht notwendigerweise die Stichhaltigkeit des Paranormalen
an sich widerlegt. Ich bin mir sicher, daß immerzu irgendwelche
wirklich merkwürdigen und unerklärlichen Sachen passiert sind.
Wenn mir also jemand von explodierenden Glühlampen und frischen Blumen
erzählen würde, die in der Vase verwelken, dann würde ich
ihn erstmal beim Wort nehmen, daß diese Dinge passiert sind, und
weitergehen. Das sind keine unerklärlichen Geschehnisse von wirklich
großem Umfang. Diese Welt ist definitiv ein merkwürdiger Ort,
und es gibt viele unbekannte Dinge auf ihr. Jedermann weiß das.
Nehmen Sie mal an, daß alle paranormalen und übernatürlichen
Phänomene, von denen Sie je gehört haben, für wahr erklärt
werden -- Entführungen durch Außerirdische, Geister, was Sie
wollen. Dann wären sie nicht mehr paranormal oder übernatürlich
-- sie wären nur mehr von dem, was die ganze Zeit auf der Welt passiert.
Ich weiß, daß eine Menge Leute denken, daß es einen
großen Unterschied macht, ob diese Dinge wirklich sind oder nicht,
aber das tut es nicht. Man muß seinen Körper immer weiter rund
um diese Welt schleppen, so lange, bis man stirbt. Und wenn man nach dem
Tod weiterlebt, dann lebt man eben in einer anderen Welt weiter ... und
wenn es schon darauf hinausläuft, dann ist die eine Welt so ziemlich
die gleiche wie die andere. Versuchen Sie sich nur mal eine andere Realität
vorzustellen, die mehr ist als nur eine Kopie von dieser. Das können
Sie gar nicht. Wenn Sie das könnten, dann würde das auf äußerst
interssante Fiktion hinauslaufen. Aber alle Horrorgeschichten basieren
auf der Erzeugung eines subjektiven Gefühls für Merkwürdigkeit.
Sie haben daher auch niemals bislang unbekannte Lebenszustände beschrieben,
auch wenn sie oft Andeutungen in dieser Richtung machen. Aber alles, was
Horrorgeschichten tun können, ist andeuten.
JBF:
Es ist offensichtlich, daß viele von Ihren Geschichten ihre Wurzeln
tief in Ihren persönlichen Alpträumem haben. Sind Ihre Träume
jemals eindeutig, oder werden Sie nur als Zuschauer mitgetragen?
TL: Ich
hatte nur ein paar eindeutige Träume, als ich ein Kind war, seitdem
nicht mehr. Ich hatte vor ein paar Jahren einen Außerhalb-des-Körpers-Traum,
nachdem ich aus Versehen zwei Tassen nicht entkoffeinierten Kaffee getrunken
hatte, bevor ich einschlief. Ich schlief auf dem Sofa ein, und mein Traumkörper
schwebte im Wohnzimmer herum. Hey, vielleicht war das eine echte Außerhalb-des-Körpers-Efahrung.
Kaffee als Tor zu einer anderen Welt -- wie bei LeFanus "Grüner
Tee".
JBF:
Es heißt, daß wir in zwanzig Jahren die Technologie besitzen
werden, um Träume (oder Alpträume) aufzuzeichnen und anderen
Leuten vorzuspielen. Vielleicht klingt das heute weit hergeholt, aber
wenn Sie mal bedenken, wie die Leute jetzt schon Mobiltelefone und Computer
fast als Erweiterung ihres eigenen Körpers benutzen, dann ist es
das vielleicht doch nicht. Die Technologie entwickelt sich unbeschreiblich
schnell, und die Öffentlichkeit heißt alles Neue gern willkommen.
Sehen Sie eine Zeit kommen, in der die Träumer von heute die Macher
innerer Filme von morgen sein werden?
TL: Ich
habe nie darüber nachgedacht. Aber jetzt, da Sie es ansprechen, würde
ich wetten, daß ein Videotape von irgendjemandes Traum mehr Sinn
ergeben würde als die meisten Filme, die momentan herauskommen.
JBF:
Werden die Menschen je in der Lage sein, eine virtuelle Bibliothek der
Träume zu entwickeln und sich darin einzustöpseln, um der Unterhaltung
willen?
TL: Wenn
es jemals soweit kommen sollte, bin ich sicher, daß Werbesendungen
und Anzeigen zwischen unseren Träumen vom Fliegen oder wie uns ein
Moster jagt eingefügt sein werden.
JBF:
Ich habe festgestellt, wieviele Horrorautoren früh und unter tragischen
Umständen sterben. Nur um eine Handvoll zu nennen: Schulz, Hodgson,
Lovecraft, Poe, Maupassant, Grabinski etc. Das macht mir ein bißchen
Kopfzerbrechen, weil ich mir darüber klar geworden bin, daß
ich Geschichten schreibe, die mindestens so dunkel sind wie die von diesen
Leuten, und ich denke, es könnte eine Gefahr darin enthalten sein.
Ich spreche von dem Gesichtspunkt aus, daß ich jetzt schon mit Betablockern
und Antidepressiva nehme, um dem Leben ins Gesicht sehen zu können.
Glauben Sie, daß eine Gefahr darin liegt, intensive Horrorgeschichten
in dieser Art zu schreiben, oder glauben Sie, daß es eher so ist,
daß man etwas aus sich heraustreiben muß -- als wenn man es
auf die Welt losläßt, damit sie an eigener Stelle damit fertigwerden?
TL: (stellt
die Antwort auf diese Frage einen Moment lang zurück) Ich habe nie
Betablocker genommen. Finden Sie sie sehr wirksam?
JBF:
Ja, das ist eine Droge, die man benutzt, um den Blutdruck zu senken, aber
sie hat auch den Effekt, den Pulsschlag zu verlangsamen. Mein Herz schlägt
zu schnell, das liegt an der starken Angst, an der ich oft leide, und
ich nehme Betablocker, um das zu verhindern. Sie sind sehr effektiv, aber
ich kann sie nur in Verbindung mit Antidepressiva ertragen. Wenn ich sie
ohne alles nehme, gerät mein Magen vollkommen durcheinander.
TL: Wie
vertragen sie sich mit den Antidepressiva?
JBF:
Sehr harmonisch in meinem Fall, andernfalls würde ich wohl schon
seit 4 Jahren Blumen auf dem Friedhof wachsen lassen. Es muß irgendwas
darin sein, das den Hunger anregt, und in meinem Fall verhindert das auch
die widrigen Magenprobleme, die von den Betablockern verursacht werden.
TL: Ich
finde, daß Tranquilizer und eine sehr niedrige Dosis von Antidepressiva
die beste Kombination für Angstneurosen und Panikattacken sind. Antidepressiva
allein bringen es nicht, wenigstens bei mir nicht. Aber um auf die Frage
zu antworten, ich glaube, daß jede Art von Schreiben physisch sowohl
wie psychisch schädlich ist, aber ich glaube nicht, daß das
Schreiben von Horrorgeschichten schädlicher ist als das Schreiben
irgendwelcher anderer Geschichten. Keiner sollte Schreiben oder irgendeien
andere Art von intensiver geistiger Arbeit betreiben, wenn er es vermeiden
kann. Ich weiß, daß das pervers klingt, aber denken Sie nur
mal daran, daß das meiste, wozu wir als menschliche Wesen getrieben
werden -- besonders Aktivitäten, die wir als "Spaß"
betrachten -- uns seinen Tribut abverlangt. Das Schreiben verursacht bei
mir ohne Unterschied immer einen unbeschreiblich aufgewühlten und
erschöpften Zustand und verursacht mir Verdauungsbeschwerden. Es
gab schon Gelegenheiten, da wollte ich irgendeine Gewalttat verüben
und schrieb statt dessen eine Horrorstory, die von meinen gewalttätigen
Impulsen genährt wurde. Aber danach fühlte ich mich nicht im
mindesten friedlicher. Ich habe nie das Gefühl gehabt, daß
ich irgendetwas losgeworden wäre, indem ich eine Horrorstory schrieb.
Wenn überhaupt, dann glaube ich, daß das Schreiben das Gefühl
noch verschlimmert, durch das man zuerst zum Schreiben getrieben wurde.
JBF:
Erzählen Sie uns etwas über Ihre letzte Kooperation. Momentan
sind ja alle in heller Aufregung, weil wir gehört haben, daß
Sie ein Filmdrehbuch nach "The Last Feast Of Harlequin" geschrieben
haben. Ich habe gehört, daß die Metaphorik sogar noch bizarrer
als in der Geschichte sein soll, stimmt das?
TL: Ich
hoffe es. Die Metaphorik in "Last Feast Of Harlequin" ist gar
nicht so bizarr -- nur die kreischenden Clownsfratzen-Freaks und die windschiefe
Stadt. Und die Würmer. Aber es gibt keine Würmer in dem Drehbuch.
Dieses Element diente dazu, in der Geschichte das Hauptthema zu transportieren,
und würde in einem Film ziemlich albern aussehen.
JBF:
Macht es Ihnen Spaß, an einem Drehbuch zu arbeiten, oder ziehen
Sie das Schreiben eigener Geschichten vor?
TL: Ich
habe das Skript zusammen mit Brandon Trenz geschriebe, mit dem ich zuvor
schon an der X-Files-Episode gearbeitet habe, die vor einiger Zeit auf
Thomas Ligotti Online zu sehen war. Es macht ganz bestimmt eine Menge
Spaß, wenn man ein Drehbuch mit jemandem zusammen schreibt, während
ich das Schreiben von Geschichten niemals besonders spaßig fand.
Und wenn das Schreiben eines Drehbuchs schon keinen Spaß macht,
dann hat man wenigstens jemand an seiner Seite, der mit einem leidet.
Aber keiner von uns hat diese Erfahrung bislang gemacht ... und vielleicht
werden wir auch nie an diesen Punkt gelangen, denn wir haben das Drehbuch
auf gut Glück geschrieben, und jetzt bleibt uns nur herauszufinden
ob die Produktionsfirma denken wird, daß "The Least Feast Of
Harlequin" als Filmadaption ein finanziell und künstlerisch
realisierbares Projekt ist.
JBF:
Ich weiß, daß Sie solche Autoren wie Lovecraft, Schulz, Grabinski,
Campbell und Borges verehren, aber ich bin auch neugierig, Ihre Gedanken
zu anderen Legenden des Genres zu erfahren. Chambers' kraftvollstes Werk,
"The King In Yellow", wird oft mit Ihren Geschichten verglichen,
und so frage ich mich, ob er Sie in irgendeiner Form beeinflußt
hat.
TL: Ich
war nie ein großer Fan von Chambers' "The King In Yellow".
Ich mag Lovecrafts Besprechung dieses Buches in Supernatural Horror In
Literature viel lieber als das Buch selbst. Ich habe eine Menge der 1890er-Aura
absorbiert, die mit "The King In Yellow" in Verbindung gebracht
wird, und zwar von anderen Autoren dieser Ära wie Ernest Dowson,
Arthur Symons, Aubrey Beardsley, Arthur Machen usw.
JBF:
Hodgson's "The House on the Borderland" kommt vielleicht dem
Versuch am nächsten, die Erfahrung eines Alptraums in einem Roman
festzuhalten, und ich frage mich, ob Sie diesen Roman je gelesen haben
und mir zustimmen?
TL: Ich
müßte dieses Buch wirklich noch einmal lesen, weil ich es beim
ersten Mal kaum geschafft habe, als ich es versuchte. Ich entschuldige
mich dafür, daß ich hier so gegenteiliger Meinung bin, weil
ich genau weiß, wieviele Fans eine sehr hohe Meinung von dem Roman
haben. Ich gebe bereitwillig zu, daß mein Geschmack als Leser sehr
schrullig ist und daß jeder meine Meinung sofort vergessen sollte,
der mir nicht zustimmen kann.
JBF:
Haben Sie solche Autoren wie Shiel, Blackwood und Machen gelesen, und
besitzt ihr Werk Anziehungskraft für Sie?
TL:
Ich erinnere mich, daß ich Shiels Horrorstories sehr bewunderte,
als ich sie vor über zwanzig Jahren las, aber der Rest seines Werks
ist von keinem Interesse für mich. Ich habe alle unheimlichen Kurzgeschichten
von Blackwood gelesen und schätzte natürlich ihre Kraft und
Imagination, obwohl mir grundsätzlich von der heidnischen Weltsicht
die Lust daran verdorben wird, die so viel von seinem Werk durchzieht.
Ich habe Blackwood im ganzen wieder schätzen gelernt, als ich Michael
Ashleys Auswahl seines Werks las, die den Titel "The Magic Mirror"
trug. Ich habe Arthur Machen sogar gelesen, bevor ich Lovecraft kannte
-- so um 1971 -- und war zunächst von seinen Geschichten angezogen,
weil sie mich so an Sherlock Holmes erinnerten. Später lernte ich
dann Machens wundervoll gemeine Themen schätzen und seinen Zauber
als Prosastylist.
JBF:
Ich glaube, Sie haben gerade vor kurzem eine Audiokollektion namens "I
Have A Special Plan For This World" veröffentlicht. War das
wieder eine Zusammenarbeit mit David Tibet?
TL: Es
ist eine 20 Minuten oder so lange CD von Current 93 mit Worten von meiner
Wenigkeit: 12 kurze Stücke, die das vom Titel Angedeutete zum Thema
haben.
JBF:
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus, Mr. Ligotti? Wird
es in Kürze für uns eine neue Verlockung geben, in Form einer
neuen Storysammlung?
TL:
Ich weiß es nicht. Ich habe es nie gewußt. Ich habe keine
Kontrolle darüber. Es tut mir leid.
JBF:
Und zum Schluß, wie, möchten Sie, daß die Welt sich an
Sie erinnert, wenn die Zeit kommt und der schwarze Vorhang sich letztendlich
vor Ihren Augen senkt?
TL: Sich
letztendlich senkt? Ich will, daß dieser schwarze Vorhang so schnell
fällt, daß ich ihn weder fühle noch höre. "Er
wußte nicht, was ihn getroffen hat." So, möchte ich, soll mein Grabspruch
lauten.
Dieses Interview erschien zuerst im April 2000
in der Sonderausgabe "The Grimscribe in Cyberspace" (a tribute to Thomas Ligotti)
von John B. Fords E-Mail-Magazin TERROR TALES
und wurde uns vom Herausgeber mit freundlicher Genehmigung überlassen.
Übersetzung von Monika Angerhuber.
eMail:
John.B.Ford@btinternet.com