MY WORK IS NOT YET DONE – THREE TALES OF CORPORATE HORROR
Rezension von Thomas Wagner


MY WORK IS NOT YET DONE – THREE TALES OF CORPORATE HORROR
Mythos Books 2002, Hardcover (limitierte u. signierte Auflage), 200 Seiten, 30 US-$
ISBN 0-9659433-7-2, www.mythosbooks.com

In der von leicht verdaulichen Bestsellern dominierten modernen Horrorszene ist der Amerikaner Thomas Ligotti eine faszinierende Ausnahmeerscheinung. Seine Erzählungen haben stilistisch wie inhaltlich nichts mit King, Lumley & Co gemein, vielmehr rufen sie Erinnerungen europäische Phantastik-Klassiker des 20. Jahrhunderts und die grotesk-bizarren Phantasien Edgar Allan Poes wach. In den letzten Jahren war es jedoch — abgesehen von Anthologiebeiträgen und dem Buch-/CD-Doppelpack This Degenerate Little Town — ziemlich still um den Autor, was nicht zuletzt auch persönliche Gründe hatte: So kündigte er seinen verhaßten Job bei einem Detroiter Verlag, brach dort alle Zelte ab und zog nach Florida, wo er jetzt freiberuflich tätig ist. Mit einem runden Jahr Verspätung ist im Mai 2002 in den USA My Work Is Not Yet Done — Three Tales Of Corporate Horror erschienen — eine Sammlung von drei Stories, mit denen der ewige Nonkonformist Ligotti sich wieder einmal konsequent zwischen alle literarischen Stühle setzt: Wie gewohnt verfolgt er seinen eigenen Erzählstil und schert sich den Teufel um den konventionellen Lesergeschmack; doch anders als im Großteil seiner älteren Stories verzichtet er hier auch auf schwarzromantische Stilmalereien und die gespenstischen Altstadt-Kulissen eines namenlosen Alptraum-Nirvanas. Der Horror trägt in diesen Tales Of Corporate Horror durchaus weltliche, diesseitige Züge, denn es sind Konzerne — gesichtslose, milliardenschwere Multis —, hinter denen das Böse sich verbirgt.

Erste, längste und beste Erzählung in dem Band ist die Titelstory My Work Is Not Yet Done: Mit den Worten "I had always been afraid" leitet der (Anti-)Held Frank Dominio die Geschichte ein und beginnt seine eigene, ganz alltägliche Hölle zu beschreiben: Seit vielen Jahren ist er als Abteilungsleiter bei einer nicht näher beschriebenen Firma angestellt, doch er fühlt sich in seinem Job zusehends unsicherer und den immer wachsenden Anforderungen nicht mehr gewachsen. Für seine Kollegen und seinen Vorgesetzten ist der introvertierte Eigenbrötler Dominio nichts als eine Witzfigur und ein Prügelknabe, auf den sich alle Unannehmlichkeiten abwälzen lassen. Die täglichen kleinen Anfeindungen und Demütigungen kulminieren in offenem Mobbing. Man bezichtigt ihn der Faulheit, des Diebstahls, der sexuellen Belästigung, stiehlt ihm sogar ein selbstentworfenes neues Produktkonzept aus dem Schreibtisch und schließlich kommt es zu seiner Kündigung. Dominio beschließt sich zu rächen: Er plündert sein Sparkonto, vertauscht seine unauffällige Angestelltengarderobe gegen ein "outfit in the gothic style" und deckt sich — ganz dem American Way Of Life entsprechend — beim erstbesten Waffenhändler mit Feuerwaffen ein. Doch bevor er sich schließlich schwarzgewandet und schwerbewaffnet auf den Weg zu seinem Ex-Arbeitgeber machen kann, wird er beim Überqueren einer Straße von einem Bus überfahren. Im Anschluß erwacht Dominio als geisterhafte Wesenheit mit übernatürlichen Fähigkeiten und erkennt: "My work could not be left undone. My work was only beginning." Mit Hilfe seiner neuen Kräfte macht er sich daran, seine Feinde auf äußerst phantasievolle und grausame Art ums Leben zu bringen. Doch dem anfänglichem Triumph folgt am Ende eine desillusionierende und grauenvolle Erkenntnis über den wahren Zusammenhang der Dinge, und Dominio realisiert, daß er bei seinem Rachefeldzug selbst nur das Werkzeug einer höheren Macht war: "I was weak and afraid ... and I ended up as a deadly weapon wielded by a dark hand that I — that no one — will ever see." Das einzige, was bleibt, ist der Wunsch zu sterben, einzugehen in ein endgültiges Nichts. My Work Is Not Yet Done ist eine meisterhafte Mixtur aus modernem Horror und bissig-ironischer Parabel auf unsere "schöne neue Welt", der es auch nicht an grotesken, schwarzhumorigen Untertönen mangelt (so ließ sich Ligotti nach eigenen Aussagen hier stark durch die satirische US-Comicserie Dilbert inspirieren). Mit ihren psychologischen Feinheiten, und der überaus gelungenen Charakterisierung des Protagonisten ist es aber zugleich auch die menschlichste Story, die Thomas Ligotti bislang je geschrieben hat: Der scheinbare Durchschnittsmensch Frank Dominio ("he was of average height and build, average weight, average age, with hair neither long nor short") erscheint als geradezu kafkaeske Figur und ist — trotz seiner Verbrechen — eigentlicher Sympathieträger der Erzählung. Im Gewand eines packend-beklemmenden Psycho-Horrors wird hier geschildert, wie ein im Grunde harmloser Mensch, dessen einziger Fehler es ist, nicht hundertpozentig assimiliert und "normal" zu sein, von einer menschenfeindlichen New Economy-Gesellschaft, die — allen pseudoliberalen Prinzipien zum Trotz — bedingungslose Anpassung verlangt, als Persönlichkeit systematisch zerstört und schließlich zum Äußersten getrieben wird.

Die folgende Story I Have A Special Plan For This World bildete ursprünglich die Grundlage für die gleichnamige CD der britischen Band Current 93 (2000 bei Durtro erschienen) und wurde vorab im US-Magazin Horror Garage veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht hier die obskure Blaine Company, die sich zu einer wirtschaftlichen Weltmacht aufschwingen will. Der Konzern hat sich in Murder Town angesiedelt, einer Tag und Nacht in einen gelblichen Nebel gehüllten Stadt, die ihren Namen einer Vielzahl ungeklärter Morde verdankt. Um das negative Image aufzubessern, wird Murder Town kurzerhand in Golden City umbenannt, doch bald beginnt eine neue Serie rätselhafter Todesfälle — diesmal unter den leitenden Angestellten der Blaine Company. Im Finale lernt der Erzähler schließlich das nichtmenschliche Etwas kennen, das sich hinter dem geheimnisvollen Konzernchef U. G. Blaine verbirgt.

Den Abschluß der Sammlung bildet die vorab in der Anthologie Darkside: Horror for the Next Millenium erschienene Erzählung The Nightmare Network. Stilistisch fast an die frühen, experimentellen Dystopien J. G. Ballards erinnernd, wird hier in Form von Aktennotizen und Videoaufzeichnungen die Geschichte des Konzerns OneiriCon erzählt, der mit seiner (Alp-?)Traumindustrie alle anderen Konkurrenten ausschaltet und quasi die (nicht nur) wirtschaftliche Weltherrschaft erringt. "There are no bad dreams if there is only one dream; there can be no outlaws where there is only one law" lautet die Ideologie OneiriCons, doch die menschgeschaffene Konzernmaschinerie wird zu einer verselbständigten, wahnsinnigen Wesenheit ...

Mit My Work Is Not Yet Done — Three Tales Of Corporate Horror beschreitet Thomas Ligotti ungewohntes, neues Terrain und dieses Experiment gelingt — auch wenn der Band gewiß den einen oder anderen, an das frühere Material des Autors gewöhnten Leser irritieren mag — vortrefflich.

Das phantastische Genre dient dem Autor hier als Mittel zum Zweck, um seine Sicht der US-amerikanischen Realitäten zu schildern und das finstere Panorama, das er in diesen drei Erzählungen entwirft, läßt sich ohne große Abstriche auch auf andere westliche Industriestaaten transferieren. Wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklungen, die mit Reaganomics und radikalem Neoliberalismus ihren Anfang nahmen, entgleiten der Kontrolle der Menschen und führen zu katastrophalen Desastern — seien diese individueller Natur (wie in My Work Is Not Yet Done) oder sogar von globaler Auswirkung (The Nightmare Network). Die blinde Gier nach Geld und Macht erschuf einen nimmersatten Moloch, dem das Individuum nichts gilt, der sich mittels Lügen und Massenmanipulation an der Macht hält und dabei auch — im wahrsten Sinn des Wortes — über Leichen geht. Ligottis Sicht der Dinge ist nach wie vor eine pessimistische, desillusionierte, und so zeigt er auch keine Lösungsansätze oder Wege aus diesem Dilemma auf. Es gibt kein Erwachen in einer besseren Welt, denn der Alptraum ist nicht uns — wir sind in ihm.

My Work Is Not Yet Done — Three Tales Of Corporate Horror erschien in sehr schöner Aufmachung in auf 1000 Exemplare limitierter und von Ligotti und Coverkünstler/Illustrator Harry O. Morris signierter Auflage. Die Anschaffung lohnt sich also in mehrfacher Hinsicht — zumal eine deutschsprachige Veröffentlichung in absehbarer Zeit fraglich erscheint, denn hierzulande wenden sich leider auch einstmals innovative Kleinverlage mehr und mehr dem literarischen Fastfood zu.

© 2002, Thomas Wagner
mit freundlicher Genehmigung des Autors
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